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#6 Abschied von den Ålands

Diese Inseln mit ihrer exponierten Lage, ihren gastfreundlichen Bewohner, ihrer wechselvollen Geschichte und ihrer abwechslungsreichen Natur haben uns tief beeindruckt. Wir könnten es noch lange hier „aushalten“ und es war sicherlich nicht der letzte Besuch hier. Sowohl für Segler und Seglerinnen, als auch Fahrradreisende und Van-Begeisterte sind diese Inseln sehr zu empfehlen!

Samstag 22.06.2024 – Kastelholm – Ankerplatz Gåsholmen – 28 Seemeilen

Nachdem wir uns „Vicky“, das super gepflegte und total gemütliche kleine Raumwunder unserer neuen Segelfreunde aus Berlin, angesehen haben, bunkern wir Wasser, verstauen die Räder und verholen zur „Servicepier“. Dort gibt es eine Absaugstation für Schmutzwasser, wie in fast jedem Hafen auf den Ålands. So kann das mit den Fäkalientanks funktionieren! Das Dingi wird wieder geschleppt. Beim Auslaufen werden noch ein paar Fotos von uns „geschossen“ – vielen Dank dafür an Niklas!

Wir wollen zum südöstlichen „Außenposten“, den Kökar-Inseln segeln, unterwegs aber noch einen Stopp einlegen. Nachdem wir den Sund unter Maschine bewältigt haben, setzen wir auf dem Lumpur die Segel und beginnen gen Osten aufzukreuzen. Die drehenden Winde zwingen uns immer wieder zur Wende und der vom Plotter aufgezeichnete Kurs gleicht einer Reihe von Flitzebogen. Zum Schluss muss dann doch wieder der Jockel arbeiten, weil wir aufgrund von Windabdeckung keinen segelbaren Wind mehr abbekommen. Der Weg führt uns erstmal auf gleicher Strecke wieder zurück, biegt dann aber ab und bringt wieder lauter neue Eindrücke. Die Schären werden felsiger und flacher, weniger bewaldet und erinnern uns an Westschweden.

Wir haben uns unterwegs umentschieden und laufen für die Nacht eine Ankerbucht an, statt in den Hafen von Sottunga zu gehen. Wir hatten jetzt wieder einige Hafentage und der Proviant sollte noch reichen (in Kastelholm gab es keinen „Kaufmann“) – uns steht der Sinn nach Einsamkeit. Und die finden wir hier: wir sind das einzige Boot in der Bucht, es ist fantastisch! Wir ankern auf 3,50m Wassertiefe, stecken überdimensionierte 12m Kette. Der Anker hält beim 2. Versuch super – lehmiger Untergrund, wie wir am nächsten Tag merken. Mit dem Dingi erkunden wir die Bucht und schauen, ob wir evtl. irgendwo direkt am Felsen festmachen können, aber an den windgeschützten Stellen ist es in Ufernähe zu flach. Den Abend verbringen wir mit „Blogarbeit“…

Sonntag, 23.06.2024 – Ankerplatz Gåsholmen – Kökar Karby – 17 Seemeilen

Beim Aufholen des Ankers, hängt grauer Lehm in dicken Fladen am Anker. Wir lassen ihn bei gemächlicher Fahrt im Wasser hängen, aber von allein löst sich da nichts. Der Bootshaken hilft! Heute geht es über „vermeintlich“ offenes Wasser nach Kökar Karby. Bei genauerer Betrachtung der Seekarte wird allerdings deutlich, dass unterwegs einige „Steine“ im Weg liegen, was den etwas krakeligen Tourenvorschlag von Navionics (unsere Maps App, die wirt zusätzlich zu den Lighthouse-Karten des Plotters nutzen) erklärt.

Wir setzen direkt nach dem Auslaufen aus der Ankerbucht beide Segel und haben einen herrlichen Segeltörn bis zur Einfahrt in das schmale Fahrwasser nach Kökar Karby. Das ist wirklich eng und die Seekarte weist einlaufend an Steuerbord eine schraffierte Fläche aus = nicht kartiertes Gebiet! Faszinierend finde ich immer wieder, wie exakt die Seezeichen uns anzeigen, an welcher Stelle wir den Kurs ändern und „abbiegen“ müssen. Dies geschieht durch zwei große Seezeichen, die senkrecht gestreift sind (rot/gelb/rot). Sobald alle Streifen senkrecht übereinanderstehen, heißt es abbiegen und nach den nächsten Seezeichen Ausschau halten (dies als Anmerkung für die Nicht-SeglerInnen…). Das Fahrwasser schlängelt sich eher einem Flusslauf gleich immer weiter in die Insel hinein und ist stellenweise nur geschätzte 8m breit – Begegnungsverkehr eher schwierig. Im Hafen werden wir von einem Hafenmeister in Empfang genommen, der uns an der hintersten Brücke einen Platz zuweist. Hier liegen wir fast schon im Schilf, sehr ungewohnt, aber total schön.

Vor Ort gibt es eine „Skärgårdenbutik“ (=Schärengartengeschäft), in dem wir uns frisch proviantieren können. So gibt es zum Abendessen ausnahmsweise mal nichts vegetarisches, sondern Hühnchen-Curry. Zum Tagesabschluss spazieren wir einmal um den kleinen Ort und inspizieren die Mittsommerstange. Bei der Einfahrt sah sie riesig aus. Wie sich nun herausstellt, steht sie sehr exponiert auf einem Felsen und ist aus Stahl. „Unsere“ in Kastelholm gefiel uns besser – also alles richtig gemacht.

Montag, 24.06.2024 Hafentag auf Kökar – 0 Seemeilen

Nach zwei Tagen ohne große Bewegung, soll es heute wieder eine kleine Rad- und Wandertour geben. Leider bricht bei Werners Klapprad die Verriegelung des Mechanismus und damit ist es nun unbrauchbar. Zum Glück gibt es beim deutschsprechenden (holländischen!) Hafenmeister Leihräder. So können wir doch noch starten. Der Weg führt uns einmal über die Insel zum zweiten Hafen – mal schauen, was dort für Boote liegen (Seglermanie?), dann weiter zur hübschen Inselkirche, mal ganz anders mit separatem Turm und sooo malerisch gelegen! Hier erfahren wir, dass es auch ein mittelalterliches Franziskaner-Kloster (das einzige auf den Ålands – Thema „Superlative“) gab, die Überreste kann man direkt neben der Kirche besichtigen.

Unterwegs haben wir den Hinweis auf eine Seefahrerkapelle und einen Meditationspfad am Wegesrand gesehen. Dem müssen wir natürlich auch gleich nachgehen und kommen an einen kleinen Naturhafen mit vorgelagerten „Fieslingen“, ihr erinnert euch, so nennen wir die Felsen knapp unter der Wasseroberfläche…

Als nächstes lädt uns ein „Kultursti“ zur Erkundung ein. Wir parken die Fahrräder und wandern los. Es bietet sich uns eine sehr abwechslungsreiche Landschaft und der Weg hat es in sich:

Zum einen führt er vorbei an verschiedenen „Sehenswürdigkeiten, wie

  1. den Überresten einer bronzezeitlichen Siedlung von Seehundjägern (ca. 1.000 vor Christi),
  2. einigen Haufen feuergesprengter Steine, die bei der Tran-Produktion ca. 100 vor Christi entstanden. Dabei wurden um eine Felsmulde Steinwälle errichtet, in denen Fettgewebe von Seehunden (sog. Blubber) erhitzt wurde. Der so entstandene Tran sammelte sich in der Felsmulde und konnte entnommen werden. Die durch die Hitze teilweise geplatzten Steine wurden auf einer Halde gesammelt.
  3. Den Überresten einer russischen Radiostation aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts.
  4. Den Resten eines Steinlabyrinthes, das ursprünglich vermutlich aus 50 Ringen bestanden haben soll, möglicherweise aus dem Mittelalter stammt, dessen Zweck allerdings unklar ist.
  5. Überresten von Verteidigungsanlagen aus dem 2. Weltkrieg

Zum anderen ist der Weg höchst anspruchsvoll, weil es einen ständigen Wechsel zwischen unebenen Steinen, Felsen, weichem Wald- oder Moorboden gibt. Man kann die Augen eigentlich nur stehend schweifen lassen. Jeder Schritt will mit Bedacht gesetzt werden… Das ist erstaunlich anstrengend, auch ohne übermäßige Höhendifferenzen. Diese liegen auf dem ganzen Weg nur bei 180 Metern. Nach 2/3 des Rundweges kommen wir an einem See vorbei. Mit seinen flachen Uferfelsen lädt er uns zu einem Bad ein. Das Wasser ist frisch, aber deutlich wärmer als das Meer – eine sehr willkommene Pause!

Auf dem Rückweg gibt es noch einige schöne Fotomotive am Wegesrand zu fotografieren. Überall auf den Ålands und auch schon auf den schwedischen Schären sind uns die hübschen Briefkastenanlagen aufgefallen. Hier steht ein besonders schönes Exemplar. Und auch das Steinmännchen mit Mütze war einen Stopp wert.

Am Abend, nachdem sich der Wind etwas gelegt hat, brechen wir zu einer kleinen Dingi Tour auf. Kökar besteht aus mehreren Inseln, die beiden Hauptinseln werden durch den Meeresarm getrennt, in dem wir im Hafen liegen. Wir wollen ihn etwas weiter in Richtung Norden erkunden. Es wird jedoch schneller kalt, als erwartet, also kehren wir um, bevor wir die anvisierte Hälfte der Akkuladung erreicht haben…

Dienstag, 25.06.2024- Kökar Karby – Jungfruskär – 25 Seemeilen

Die 4 Seemeilen lange Ausfahrt aus dem Hafen erfolgt notgedrungen unter Motor. Der Wind weht uns direkt entgegen (SSW) und das Fahrwasser ist (wie vorgestern beschrieben) extrem eng. Anschließend geht es allerdings im großen Bogen um die Insel Kökar herum und nun schiebt uns der Wind eigentlich auf ganzer Strecke mehr oder weniger von achtern mit anfangs 6-8 Knoten. Ideale Bedingungen für den Blister (Leichtwindsegel). Wir müssen unterwegs zwar zweimal mit ihm halsen (auf die andere Bootsseite bringen), aber das klappt relativ gut. Der Blister wird normalerweise vor dem Vorstag am Bug des Schiffes befestigt. Da haben wir allerdings keinen Punkt, an dem wir ihn anbringen können – der Anker ist im Weg. Daher ist die Führung am Bug bei uns „semioptimal“ und führt mit einer Verlängerung auf den Bugbeschlag direkt hinter dem Vorstag. Beim Halsen muss daher auch hier umgebaut werden. Wir entwickeln gerade eine Idee, wie das Setup hier verbessert werden kann.

…dieses Foto sagt nur den Seglerinnen etwas: die befestigung unseres Blisters am Bug. Für Verbesserungsvorschläge sind wir offen!

Unser zweites und weit entscheidenderes Problem beim Blistersegeln ist, dass das dafür genutzte Spinnackerfall sich im Masttop in einem ungünstigen Winkel zur Rollanlage der Genua befindet. Daher können wir die Genua nicht ausrollen, wenn der Blister gesetzt ist. Die Genua würde sich am Masttop mit dem Blister verwickeln. Da wir auch das Groß nicht gesetzt haben und nur unter Blister segeln, ist der Bergevorgang etwas „heikel“, weil wir ihn nicht im Windschatten eines anderen Segels einfallen lassen können (empfohlene Methode von Segelfreund Stefan). Unser Blister hat eine Fläche von 75 qm. Wenn diese mit Wind gefüllt sind, ist da ganz schön viel Druck drin… Solange der Wind bei unter 10 Knoten liegt, bekommen wir den Blister ganz gut geborgen. Da reicht unsere Muskelkraft. Wenn der Wind allerdings auffrischt – wie heute – ist das immer eine Zitterpartie. Aus diesem Grunde hatten wir mit einem Bergeschlauch geliebäugelt und einen von Clubfreundin Hilde probiert. Leider war er zu klein. Daher müssen wir es heute wieder von Hand bewältigen. Mit vereinten Kräften bekommen wir es vor der Einfahrt in die geschützte Bucht der Jungfruskär, unserem heutigen Ziel, irgendwie hin. Allerdings landet der Blister teilweise im Wasser und muss nun vor dem Verstauen erstmal getrocknet werden.

Die Schärengruppe Jungfruskär entpuppt sich für uns als eine ganz besondere Perle der Ålands. Es gibt hier eine kleine Brücke, an der Gästeboote mit Heckanker anlegen können. An Land ist ein Grillplatz eingerichtet und es gibt „Trockentoiletten“. Freundlich werden wir auf einem Schild darauf hingewiesen, doch bitte ALLES, was wir auf die Insel mitbringen, auch wieder mitzunehmen. Insgesamt ein toller Service, wenn man bedenkt, dass keine Liegegebühr erhoben wird.

Von See sah die Schärengruppe sehr karg aus, aber in ihrem Inneren, hat sie viel Natur zu bieten. Diese kann man auf einem drei Kilometer langen „Naturstig“ erkunden – wir sind begeistert! Unterwegs lernen wir, dass es keine Dauerbewohner mehr auf der Inselgruppe gibt, aber einige Ferienhäuser. Die Inselgruppe wird von einer staatlichen Umweltorgansiation (Metsähallitus) betreut. Diese hat sich um die Renaturierung der Waldwiesen gekümmert. Dazu wurde über zig Jahre das Gras gemäht und die Mahd abgefahren, damit so die ursprüngliche Vegetation wieder eine Chance bekam. Auch die Bäume werden regelmäßig so beschnitten, dass keine Verwaldung stattfindet, sondern lichter Baumbestand den Gräsern und Wildblumen genügend Raum lässt. Diese Arbeiten erledigen Freiwillige. Auch Moorflächen und Küstenwiesen mit eindrucksvoller Vegetation durchwandern wir. Es gibt auf der Insel eine Vielzahl von Orchideen und seltenen Wiesenblumen.

Im zweiten Weltkrieg wurden auch hier Verteidigungsanlagen gebaut, deren Reste noch sichtbar sind. An einem ehemaligen Geschützstand treffen wir auf einen jungen Fuchs, der sehr niedlich, neugierig und wenig scheu ist. Wenig später treffen wir auf eine Rinderherde, die einen ganz anderen Eindruck macht – wir weichen aus (der Klügere und so…).

Da wir gelesen haben, dass es auf dieser Schärengruppe besonders viele Zecken geben soll, die zudem auch noch böse Krankheiterreger verteilen, kontrollieren wir uns abends gründlich. Zum Glück sind wir „sauber“!

Mittwoch, 26.06.2024 – Jungruskär – Lappo – 12 Seemeilen

Das Wetter wird immer besser! Der Wetterbericht versprach uns Anfang der Woche jeden Tag 19 (neunzehn) Stunden Sonne – bisher hat er Recht behalten! Heute wollen wir uns von den Ålands verabschieden – denken wir…

Unser Ziel heißt Lappo und liegt nördlich der Jungfruskär. Da der Wind weiterhin kräftig aus südlicher Richtung weht, wählen wir lediglich die Genua. Der Weg führt uns durch relativ offene See, allerdings wieder nur dem ersten Eindruck nach. Scrollt man in die Karte hinein, sieht man, dass sich die Strecke eigentlich die ganze Zeit durch irgendwelche felsigen Untiefen schlängelt. Also heißt es wieder wachsam bleiben! Die kurze Strecke ist schnell „bewältigt“ und so bleibt nach dem Einlaufen in Lappo Zeit für die Besichtigung des örtlichen Schifffahrtsmuseums (wieder liebevoll gestaltet und sehenswert),  Kaffee und Kuchen im Marina Restaurant (vorzüglich!) und einen Spaziergang über den „Walkingtrail“. Im Schifffahrtsmuseum stellen wir dann erstmal fest, dass wir uns doch noch auf den Ålands befinden und nicht in Finnland… Also können wir an Bord schnell die Gastlandflagge wieder hissen. Die finnische fehlt uns nämlich noch und es war uns sehr unangenehm, ohne gehisste Gastlandflagge anzulegen!

Auf den Walkingtrail nehmen wir zwei Discs (Friebees) mit, die im Hafen kostenlos zur Nutzung bereitliegen, denn es soll hier auch einen 18-Loch Disc Parcours geben. Das müssen wir ja mal ausprobieren! Die Wanderung führt vorbei an der Mittsommerstange, die auch hier erhöht und gut sichtbar liegt. Aufgrund des geringen Platzes auf dem Felsen, gibt es eine spezielle Apparatur, mit der die Stange aufgestellt wird. Nachdem wir das Fest selbst miterlebt haben, sehen wir uns diese Plätze mit einem ganz anderen Interesse an!

Der Natursti ist in keiner Weise mit unserem gestrigen Erlebnis zu vergleichen. Dafür üben wir uns hier im Disc – Golf und scheitern auf ganzer Linie. Nicht nur brauchen wir ziemlich viele Würfe, bis wir unsere Scheiben im Korb versenken. Nein, wir schaffen es relativ schnell, beide Discs im Wald zu verlieren… In der Regel beschreibt die Linie vom Abwurfpunkt zum Zielkorb einen langen weiten Bogen. Meist sieht man das Ziel (vor lauter Bäumen) nicht. Unsere dilettantischen Würfe folgen natürlich nicht diesen Bögen, sondern driften irgendwo ins Unterholz. Trotz wirklich langer Suche, bleiben beide Discs unauffindbar. Vielleicht sollte man sie mit „Tags“ versehen? Brächte zusätzliches Gewicht, aber zumindest bei Anfängern eine Chance, die Scheiben auch wiederzufinden… Trotzdem hatten wir richtig viel Spaß dabei. Wir werden uns eigene Discs zulegen und es wieder versuchen!

Abends empfangen wir deutsche Segler im Cockpit auf Schnack und Wein, die schon immer mal eine Vindö in „echt“ sehen wollten und freuen uns über Lob zum Boot und gute Gespräche.

Erkenntnis des Tages: Golf macht Spaß!

Donnerstag, 27.06.2024 – Lappo – Nauvo/Nagu – 34 Seemeilen

Jetzt geht es aber wirklich nach Finnland! Wir haben uns für Nagu als Ziel entschieden, weil einer unserer Ostseeführer sagt, dort gäbe es sogar deutsche Butangas-Flaschen. Ja, ihr lest richtig: wir haben wieder das Gasproblem. Unterdessen ist die schwedische Flasche leer und wir mussten feststellen, dass DIESE schwedischen Flaschen in Finnland in der Regel nicht getauscht werden können. Daher setzen wir unsere Hoffnung nun auf Nagu.

Die Sonne scheint wieder von einem wolkenlosen Himmel. Zu Beginn ist der Wind noch kalt und Barbara zieht doch die lange Hose an. Wir segeln Richtung Osten während der Wind aus Südwest weht. Die ersten 4 Stunden läuft es prima unter Segeln. Dann nähern wir uns den enger werdenden Schären vor Turku. Der Wind nimmt ab und wir kommen häufiger in den Windschatten einer Schäre, sodass der Motor immer mal wieder helfen muss. Jetzt wird es auch deutlich wärmer. Gestartet sind wir bei ca. 16 Grad Luft und Wassertemperatur. In Nagu liegt die Lufttemperatur bei 26 Grad und die Wassertemperatur bei 18 Grad – SOMMER!!!

Beim Einlaufen werden wir vor dem Hafen von einem „Boatboy“ in seinem Dingi abgefangen. Ob wir reserviert haben, will er wissen. Wir sind irritiert. Nein, haben wir nicht… Daraufhin fragt er Verweildauer und Bootsgröße ab und klärt via Funk mit dem Hafenbüro, ob und wenn ja welcher Platz für uns zur Verfügung steht. Wir bekommen einen Platz an der Außenmole mit direktem Zugang zum Schwell einlaufender Boote, dafür aber mit Blick in die Natur zugewiesen. Wir sind etwas erschlagen von dem Trubel, der hier herrscht. Auch die Hafengebühr ist saftig: 40€!

Als erstes suchen wir den Boot-Shop am Hafen auf, um hier zu erfahren, dass sie keine deutschen Butangas-Flaschen und auch nicht die kleinen blauen schwedischen Propangas-Flaschen führen. Ok, dann müssen wir uns jetzt also doch noch ein finnisches System zulegen. Die Flaschen gibt es, aber keine dazugehörigen Druckminderer und Adapter auf die deutschen Schläuche in unserem Boot. Wir sind frustriert. Auch die Sanitäranlagen halten nicht, was die Höhe des Hafengeldes versprach. Es liegen überwiegend riesige Motorboote hier sowohl die Besatzungen auf den Booten, als auch die Menschen in den Restaurants und Beach-Clubs sind so ganz anders als wir. Wir schauen im Internet, was es mit diesem Ort auf sich hat und erfahren, dass Nagu auch als „St. Tropez“ im Turku-Archipel bezeichnet wird. Das erklärt ALLES! Wir haben nicht einmal mehr Lust uns die einzige Sehenswürdigkeit, die alte Feldsteinkirche anzusehen und diskutieren abends unsere weiteren Möglichkeiten zum Thema „Gasversorgung“. Eigentlich wollten wir nach Turku oder Naantali. Dort würden wir bestimmt etwas finden. Beides würde aber einen Tagestörn in Richtung Norden bedeuten und das Wetter soll umschlagen und uns starke Südwinde bringen. Wir haben noch 2 Wochen, bis wir in Tallinn sein müssen, weil wir von dort zur Hochzeit von Barbaras Bruder nach Hause fliegen wollen. Daher entscheiden wir, lieber Richtung Südost zu segeln und mit etwas Glück in einem der größeren Orte auf der Strecke entweder das Gasproblem gelöst zu bekommen, ein Induktionskochfeld für Hafentage kaufen zu können oder mittels Bus nach Turku zu kommen. Werner zaubert uns leckere Nudeln mit Gorgonzala-Sauce zum Abendessen, dass besänftigt die Gemüter!

Erkenntnis des Tages: die St. Tropez’s dieser Welt müssen nicht immer schön sein

Freitag, 28.06.2024 – Nauvo/Nagu – Dalsbruk – 42 Seemeilen

War ja klar, wir wollen in Richtung Südosten und der Wind weht aus: SÜDOSTEN! Etwas genervt legen wir ab und motoren in den engen Fahrwassern erstmal etwas. Es ist richtig warm, heute sind 28 Grad vorhergesagt. Anfangs haben wir das Gefühl durch Wald zu schippern, aber allmählich werden die Wasserflächen zwischen den Schären weiter und die Schären kleiner. Wir segeln, wo es geht. Der Wind steigert sich von anfangs 7 Knoten auf bis zu 27 in Böen. Wir binden ein Reff ins Groß und wickeln auch die Genua bis ins 2. Reff ein, denn es heißt Kreuzen. Das macht uns richtig Spaß, denn der Wind ist warm, wir sitzen im T-Shirt (oder weniger) im Cockpit. Auch das Navigieren an der Kreuz in diesen felsigen Gewässern macht uns richtig Spaß. Auf dem IPAD wird immer wieder der Kurs korrigiert und Wendepunkte festgelegt. Aus ursprünglich geplanten 34 Seemeilen werden so 42. Nach knapp 9 Stunden kommen wir in Dalsbruk an.

Von  weitem sieht der Ort wenig ansprechend aus. Mehrfamilienhäuser, Fabriken, Industriekais. Im Hafen linkerhand eine Marina mit Booten von Einheimischen und ohne Gästeplätze. An Steuerbord die Gästemarina – optisch ansprechend mit Restaurantbrücke und Sitzgelegenheiten. Auf den anderen Gästebooten ganz normale Menschen, viele Familien, entspannte Stimmung. Der Kontrast zu unserem Starthafen am Morgen könnte größer nicht sein! Nach einem kurzen Rundgang und Einkauf, zaubert Werner uns ein leckeres Abendessen aus Kartoffeln, Zucchini, Zwiebeln und Ziegenkäse.

Danach spazieren wir zum örtlichen Strand, denn unser Thermometer zeigt eine Wassertemperatur von 20,3 Grad an! Beim Baden stellen wir fest, dass die Ostsee hier an der finnischen Küste kaum noch salzig ist, geschmacklich eher an Süßwasser erinnert. Dies ist dem geringen Austausch des Ostseewassers mit der Nordsee und dem Atlantik zuzuschreiben. An der Schleswig-Holsteinischen Küste haben wir 15-17 g Salz / Liter, hier jedoch nur noch 3 g / Liter – also kaum zu schmecken.

Im Internet finden wir heraus, dass Dalsbruk um eine 1686 gegründete Eisenhütte herum entstand. Viele der hiesigen Gebäude sind aus Schlackesteinen, Abfallprodukt der Eisenhütte, gebaut. Die Industriehallen gehörten zum ehemals größten Stahlwerk Finnlands, dass 2012 Konkurs anmelden musste. Das traf den Ort hart. 2017 wurde der größte Teil der Konkursmasse von örtlichen, teils neu gegründeten Unternehmen und der Gemeinde übernommen. So konnte auch der große Freizeithafen entstehen. Alljährlich findet nun auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerkes u.a. ein Jazzfestival statt.

Samstag, 29.06.2024 Dalsbruk – Hanko – Norrviken (60°01,923’N – 022° 46,803’O – 22 Seemeilen

Dalsbruk überzeugt uns immer mehr: Beim örtlichen „Seahandel“ bekommen wir schwedische (!!!) Gasflaschen (zur Sicherheit kaufen wir nun 2) und im Nachbargeschäft eine Induktionsplatte (für die Nutzung bei Landstrom, um zusätzlich Gas zu sparen). Somit steht unbeschwertem Ankern und an-der- Schäre-Liegen nichts mehr im Weg.

Nach diesen beiden Erfolgserlebnissen machen wir den geplanten Stadtrundgang, der uns immer mehr für den kleinen Ort einnimmt. Auf einem Hügel finden wir die Kirche, gebaut aus Schlackesteinen. Auf dem Weg dorthin die „Neue Sauna“, ebenfalls aus diesen Steinen. Sie scheinen nicht sehr robust zu sein, dafür schillern einige in vielen Grüntönen und sehen schon fast wie Glas aus. Seht selbst:

Im örtlichen Museum finden wir wieder kostenlosen Einlass und können Wohnungen von Stahlarbeiterfamilien aus verschiedenen Epochen besichtigen. Wir erschrecken beim Blick in die Schusterwerkstatt, weil hier plötzlich (über einen Bewegungssensor gesteuert) originalgetreue Geräusche einer Schusterwerkstatt erklingen. Die Wohnungen zeigen uns die Einrichtung aus verschiedenen Epochen (1900 uind 1940).

Wenige Schritte weiter erreichen wir die ältesten erhaltenen Werkstätten der Eisenfabrik, in denen ein junger Glasbläser seine Werkstatt hat und einen Großteil als Ausstellungs- und Eventfläche nutzt. Das Gebäude wurde zweimal Opfer eines Brandes und jedes Mal wieder hergerichtet. Es sind noch Teile der alten Ausstattung vorhanden und die verkohlten Balken erzählen von der wechselvollen Geschichte. Wir kommen mit dem Glasbläser ins Gespräch, der uns erzählt, dass er die Werkstatt nur im Sommer hier betreibt und eigentlich von einer vorgelagerten Schäre kommt. Er lädt uns direkt ein, dorthin zu segeln, um seine Familie kennen zu lernen. Leider kommt das bei der heutigen Windrichtung gar nicht in Betracht. Der Hafen ist nach Südwesten offen und auch nicht als Gästehafen ausgewiesen.

Es ist immer wieder faszinierend, wie dicht aufeinander Hochs und Tiefs beim Segeln auftreten können. Gestern noch genervt vom Schickmicki-Hafen Nagu folgte ein fantastischer Segeltag mit einem als hässliches Entlein daherkommenden Ort, der sich als Glücksfall erweist!

Wir beschließen aufzubrechen. Die Windvorhersage verspricht uns 15 Knoten aus Südwest und wir wollen „grob“ Richtung Südost nach Hanko. Das sollte nur unter Vorsegel eine entspannte Tour werden – soweit der Plan. Auf den ersten 8 Meilen ging er noch einigermaßen auf. Wir segelten im inneren Schärenweg raumschots oder unter Halbwindkurs, allerdings frischte der Wind recht schnell auf und in Böen wies unser Windmesser bis zu 25 Knoten aus. Nachdem wir heute im Gespräch mit verschiedenen ortsansässigen Finnen den Rat bekamen, keine Abkürzungen zu nehmen (don’t take short-cuts!“), sondern uns an die in den Seekarten ausgewiesenen Fahrrouten zu halten, machen wir das nun auch konsequent. Das bedeutet nach 8 Seemeilen eine Kursänderung um 60 Grad in Richtung Wind. Diese Höhe können wir nicht segeln, also heißt es Kreuzen. Wir kommen aus der Schärenabdeckung und plötzlich steht uns eine steile Welle entgegen. Vor uns ist ein „Nadelöhr“ zwischen kleinen Schären, durch das wir segelnder Weise nicht durchkommen. Nachdem unser Motor gestern wieder Probleme mit der Ansaugung von Kühlwasser hatte, mögen wir uns in dieser etwas brenzligen Situation nicht auf ihn verlassen müssen und beschließen umzukehren. Wir sind ja normalerweise nicht bange und segeln auch an Tagen, an denen das nicht unbedingt sein muss (siehe Reisestart). Aber hier ist es uns mit all den Felsen, den Wellen und kräftigen Böen dann doch zu viel. Leider sind Häfen, in die man sich verkriechen kann, hier nicht so engmaschig vorhanden, wie in der dänischen Südsee. So suchen wir uns eine Bucht, die laut Karte recht geschützt sein müsste. Dort wollen wir ankern. Dort angekommen, stellen wir fest, dass am Ufer auf Seekabel hingewiesen wird – also vielleicht nicht so schlau, hier den Anker fallen zu lassen. Es gibt allerdings eine private Brücke, die anscheinend als Anlegesteg von mehreren Ferienhäusern genutzt wird. Dort ist ausreichend Platz, da die Ferienhäuser alle verlassen daliegen. Also legen wir an und liegen nun sehr behütet, wie in Abrahams Schoß. Zum Abendmessen zaubert Werner Lachsfilet mit Dill und rotem Pfeffer an Kartoffelstampf und regionalen (selbst ausgepuhlten und teuer bezahlten) Erbsen. Wieder lagen heute die Hochs und Tiefs dicht beieinander. Morgen soll der Wind deutlich nachlassen, dann starten wir den nächsten Versuch nach Hanko!

Erkenntnis des Tages: der Motor muss in jeder Lebenslage zu 100 % funktionieren!

4 Antworten

  1. Da habt ihr ja wieder einiges erlebt!
    Heute wurde euer Blog zur Sonntag-Mittagslektüre!????
    Wir wünschen euch die obligatorische Hand breit Wasser unterm Kiel!
    LG

  2. Hallo ihr 2,
    So, nun habe ich den nächsten Bericht von euch gelesen. Wie versprochen am Pool bei Abendsonne und einer Weißweinschorle.
    Wieder so spannende Erlebnisse, die ihr erfahren durftet.
    Grüße aus Spanien
    P.S. euer Blister sieht aus wie ein Piratensegel. Wundert euch also nicht, wenn euch einmal der Zugang zu seinem Hafen verweigert wird ????
    .

  3. Wieder habt ihr viel erlebt!
    Wir konnten wieder viel sehen und lesen. ????
    Von unserer Vindö50 haben wir noch einen Bergeschlauch (Blister) auf dem Dachbogen. Wenn wir wieder zu Hause sind werden wir ihn messen und berichten. Vielleicht könnt Ihr den gebrauchen ????
    Liebe Grüße und gute Weiterreise wünschen Karin und Uwe

  4. Hallo ihr beiden Seefahrer,

    Ragnhild hat uns auf euren Blog aufmerksam gemacht. Wir haben ihn uns sofort angesehen und sind geradezu begeistert – sehr guter und sehr spannender Text und sehr schöne Bilder!
    Wir wünschen euch weiterhin eine schöne und havariefreie Reise und viele spannende Erlebnisse.
    Den Blog werden wir weiter mit Interesse verfolgen.
    Tschüss
    Inge und Horst

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