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#11 Höga Kusten – Zeit zur Umkehr

Barbaras Wunschziel war die nördlichste Tonne der Ostsee zu runden. Diese liegt vor Törehamn. Als die Entscheidung für einen Heimflug zur Hochzeit von Barbaras Bruder fiel, war klar, dass dieses Ziel zeitlich nicht zu schaffen sein würde. Aber die Höga Kusten wäre wünschenswert. Tagelang mussten wir uns wegen fehlenden Windes unter Motor nach Norden quälen, aber es hat sich gelohnt!

Sonntag, 28.07.24 – Hänösand – Baggviken (Mjältön)  – 37 Seemeilen

Nach dem sonntäglichen (!) Einkauf bei Lidl (super praktisch direkt vor unserem Liegeplatz), tanken wir Jento nach den vielen Motorstunden wieder voll und starten dann bei gutem Wind in Richtung Norden. Die Temperatur liegt bei ca. 18 Grad in Luft und Wasser und der Himmel zeigt eine Fifty-Fifty-Mischung von Wolke und Sonne. Der Wind weht mit ordentlichen 8-10 Knoten aus West-Nord-West. Wir können endlich wieder segeln! An unserem Steg haben wir gerade noch ein deutsches Paar getroffen, die sich bereits auf der Rückfahrt befinden und uns noch schnell ein paar Tipps für die „Höga Kusten“ zugeworfen haben, die wir natürlich dankbar annehmen.

Nun wollen wir euch nicht länger auf die Folter spannen, was es mit der Höga Kusten auf sich hat:

Es handelt sich dabei um einen ganz besonderen Küstenabschnitt an der Ostküste von Schweden, ca. 450 Kilometer nördlich von Stockholm. Sie umfasst den Küstenabschnitt von Hänösand bis Örnsköldsvik und damit ca. 145 Kilometer. Nirgendwo weltweit geht die Landhebung schneller vor sich als hier. Seit dem Jahr 2000 ist die Küste UNESCO Weltnaturerbe. Hier türmen sich die Erhebungen direkt an der Küste bis zu 300m hoch auf, bewaldet, zerklüftet und imposant. Während der jüngsten Eiszeit war die Eisdecke im Gebiet der Höga Kusten bis zu drei Kilometer dick. Durch das immense Gewicht dieser Schicht wurde das Land stetig nach unten gedrückt – Berechnungen zufolge rund 800 Meter.

Als das Eis vor rund 20.000 Jahren zu schmelzen begann, setzte die entgegengesetzte Bewegung ein: Der Druck verringerte sich und der Boden begann sich zu heben. Dieser Prozess dauert noch immer an. Keine Eiszeit-Küstenlinie ist höher als die Höga Kusten – mal wieder ein Superlativ unserer Reise.

Unser erstes Ziel an der Höga Kusten ist eine fast komplett geschlossene Bucht , man kann schon sagen IN der Insel Mjältön, die nur durch einen ca. 30 Meter breiten Zugang erreichbar ist. Betonnt ist hier nichts – man hält sich einfach in der Mitte und hat hier eine komfortable Tiefe von 3,2 Metern. Wir segeln bis kurz vor die Zufahrt, am Ende auf der Kreuz. Bemerkenswert sind hier die Winddreher, die gern bei 30 bis 50 Grad liegen, was sich mit den hohen Erhebungen erklären lässt. Auch Fallböen sind nicht selten.

Unterwegs kommen wir durch eine Engstelle. Es ist immer wieder spannend, wie unterschiedlich sich das auf dem Plotter und „in echt“ darstellt. Auf dem Foto sieht es aus, als ob es gar keinen Durchgang gibt, eine geschlossene Küstenlinie scheint vor dem Bug zu liegen. Auf dem Plotter sieht man, dass es sich um mehrere Inseln handelt, durch die es sehr wohl eine gute Durchfahrt gibt:

Als wir die Segel bergen, gibt es wieder mal einen Schreckmoment, weil der Motor kein Kühlwasser spukt (das Problem dabei ist, dass auch der Auspuffschlauch nicht gekühlt wird und dieser ist nur für Temperaturen bis 90 Grad ausgelegt. Wird er zu heiß, kann er anfangen zu „schmoren“). Wir segeln vor der Einfahrt nur unter Groß auf und ab, bis der Motor sich beim 4. Startversuch bequemt, Kühlwasser zu spucken… Dann bergen wir das Groß und laufen in die Bucht Baggviken. Hier macht man am Steg unter Heckanker fest oder ankert frei in der Bucht. Wir finden einen Platz am Steg. In der Bucht gibt es keinen Schwell, aber der zunehmende Wind findet in Form von Fallböen dennoch seinen Weg in die Bucht, in der man ansonsten wie in Abrahams Schoß liegt.

Wir sind von den letzten Tagen etwas geschafft und genießen (nur) noch ein leckeres Abendessen aus Lachs, geschmorten Zwiebeln, Brokkoli und Reis. Eigentlich wäre heute unser „Berichtstag“, aber wir haben hier überhaupt keinen Internetempfang – lediglich die ein oder andere Whatsapp finden ihren Weg aus der Bucht.

Für das „Liegegeld“ wurde hier ein Pult angebracht, in dem sich ein Gästebuch und darunter versteckt eine Kassenbox befindet. Pro Nacht werden 50 schwedische Kronen erbeten. Dafür gibt es Trockentoiletten, Grillplätze und eine Sauna mit einfacher Außendusche. Für die Befeuerung von Grill und Sauna liegt Holz bereit, dass sich allerdings jeder noch selbst spalten muss – die Axt steht bereit.

Montag, 29.07.2024 – Baggviken (Mjältön) – Näske – 11 Seemeilen

Wir wachen relativ früh auf und starten nach dem Morgenkaffee auf die empfohlene Wanderung auf den Mjältötoppen – der höchsten Erhebung auf einer schwedischen Insel (noch ein Superlativ!). Unterwegs gibt es einen Abzweig zu einer Grotte, den wir natürlich nicht missachten. Es eröffnen sich immer wieder großartige Ausblicke über die Inselwelt und bis zum Ostseehorizont. Uns gefällt insbesondere die große Abwechslung auf der Wanderung: Urwald mit jeder Menge Totholz, Felsen mit Krüppelbewuchs, Heidelandschaft, Hochmoore, Geröllfelder, „Würfelfelsen-Landschaft“ und ein fast unbewachsener Gipfelbereich wechseln sich ab. Und wir scheinen die ganze Insel für uns allein zu haben, wir treffen keine anderen Wanderer. Die Wege sind super schmal, teilweise schon fast zugewachsen, aber durchgängig gut markiert. Hier kommt man nur mit dem eigenen Boot hin, das erklärt, warum so wenig Betrieb ist.

Nach knapp 3 Stunden, 290 Höhenmetern und knapp 9 Kilometern sind wir glücklich und erschöpft zurück. Nun genießen wir erstmal ein sonntägliches Frühstück mit Frühstücksei, bevor wir auslaufen. Das nächste Ziel heißt Kälsviken, eine tiefe sandigen Ankerbucht am südlichen Ende des Nationalparks „Skuleskogen“, dessen Besuch uns ein deutsches Seglerpaar in Hänösand empfohlen hatte. Wir fahren insgesamt 6 Ankermanöver, aber der Anker will einfach nicht halten (der Untergrund ist scheinbar zu steinig!). Dabei ist die Bucht so schön und wir würden gerne bleiben. So behelfen wir uns für die Kaffeepause mit einer zusätzlich ausgebrachten Landleine in die eine Richtung und einem locker liegenden Anker mit Ankerkette in die andere Richtung. Bei dem aktuell sehr schwachen Wind und der geschützten Bucht liegt Jento so erstmal still. Um das Boot allerdings morgen für eine weitere Wanderung stundenlang allein zu lassen, ist uns das zu unsicher – zumal Werner beim Baden feststellt, dass es er bis 2 Meter hinter Jentos Heck stehen kann. Wir haben also recht wenig Wasser unter dem Ruder! Daher sammeln wir die Landleine wieder ein und „lichten“ den Anker, um weitere 5 Meilen nach Norden in den kleinen Vereinshafen „Näske“ zu motoren. Von dort hat man ebenfalls Zugang zum Nationalpark.

Dort angekommen, treffen wir ein deutsches Vereinsmitglied, das uns in die Gepflogenheiten des Vereins einweiht und uns auch gleich den Code für Toilette und Dusche verrät. Außerdem bestätigt er, dass Ankern in Kälsviken nicht ganz einfach ist und meist Ankerkettenlänge von ca. 50 Metern bedarf (bei wenigen Metern Tiefe!). Nun wissen wir, was unser Fehler war – die Kette war zu kurz gesteckt und wir haben beim Versuch, den Anker einzufahren, diesen eigentlich immer wieder ausgebrochen. Das Ufer fällt sehr steil ab und wir haben den Anker in Ufernähe gesetzt und sind dann rückwärts in tieferes Wasser gefahren – wieder etwas gelernt! Wir tragen uns in ein Gästebuch ein und stecken 200 schwedische Kronen für die Nacht in eine verschlossene Kassenbox.

Zudem erzählte uns der Deutsche, dass es nachts Rundgänge von Sicherheitsleuten geben wird, die die Schiffe bewachen. Wir wundern uns ein wenig über diese Maßnahme im sicheren Schweden, aber naja, wird schon einen Grund haben. Kaum waren wir am Schiff, kam eine Polizistin auf die Brücke und Werner spricht sie gleich an (schwedisch, blond, hübsch !). Wir haben ein längeres Gespräch und sie erzählt uns, dass die 300-400 PS starken Außenborder gestohlen werden und innerhalb weniger Stunden über die Grenze ins Ausland gebracht werden. Werner fragte, ob unser neuer E-Außenborder in Gefahr sei, aber das verneinte sie mit einem amüsierten Lächeln. Kurz darauf kam der angekündigte Sicherheitsmann, auch mit ihm kamen wir ins Gespräch. Er sei von dem örtlichen Yachtclub und jedes Mitglied muss eine Nacht in der Saison Wache gehen. Wir fragten dann gleich, „du schläfst hier und machst dann jede Stunde eine Runde … ? Nein, er müsse die ganze Nacht hier wach bleiben und kontrollieren. Wow, Hut ab! Eine solche Aktion würde in unserem Club sicherlich einiges an Protesten hervorrufen!

Nach dem Abendessen (Wraps) gibt es eine heiße Dusche und endlich knapp ausreichendes Internet, um unseren 10. Bericht zu erstellen und hochzuladen.

Dienstag, 30.07.2024 – Näske – Ulvöhamn – 11 Seemeilen

Nach dem Morgenkaffee machen wir die Räder klar, denn bis zum Eingang Nord des Nationalparks Skuleskogen sind es vom Hafen 4 Kilometer. Werner hat sich anlässlich des Besuches in Deutschland Ersatzteile nach Hause bestellt und sein Rad hier wieder repariert. Die Wanderung, die wir uns herausgesucht haben, ist als schwer gekennzeichnet und mit einer Strecke von gut 9 Kilometern angegeben. Uns wurde empfohlen die Anfahrt auf dem Fahrrad zu machen, da man insbesondere nach der Wanderung froh sei, einfach nur auf dem Fahrrad abwärts zu rollen… Bei der Anfahrt schieben wir die Räder dann allerdings auf einem Drittel der Strecke, da die Schotterstraße mit kräftiger Steigung bergan führt.

Wir parken die Räder am Parkeingang, der mit Infotafeln, Toiletten, einer Grillplattform und Prospekten in schwedisch, englisch und deutsch ausgestattet ist. Leider ist auch hier Handyempfang Fehlanzeige, weshalb wir uns auf die Komoot-Aufzeichnungskarte und die Papierkarte verlassen müssen. Anfangs geht es auf guten Waldwegen wieder bergab zum Meer. All die mühsam mit dem Rad erkämpften Höhenmeter sind wieder dahin! Dann steigt der Weg langsam an und wir bekommen von Meter zu Meter den Beweis geliefert, warum die Wanderung als „schwer“ eingestuft ist. Statt guter Waldwege und Holzbohlen über butterweichen, mit Moosen und Farnen gespickten Waldboden, geht es nun über ein Geflecht aus Baumwurzeln und Steinen steil bergan. Jeder Schritt will mit Bedacht gesetzt werden – nicht vorstellbar, hier umzuknicken!

Wenn der Weg von umgefallenen Bäumen versperrt wird, hat sich eine „Umleitung“ gebildet. Bei nassem Untergrund möchten wir hier nicht unterwegs sein! Die Strecke bis zur größten Sehenswürdigkeit des Naturparkes, der Schlucht Slåttdalsskrevan, ist mit 4,1 Kilometer ab Parkeingang angegeben. Nach gut 3 Kilometern kommen wir auf ein Hochplateau mit zwei Seen und Feuchtgebiet. Hier gibt es Rastplätze, einfache Übernachtungshütten für Selbstversorger und auch wieder Holz zum selber Spalten. Im gesamten Nationalpark gibt es Übernachtungsplätze für zeltende Wanderer und der Park ist gut besucht. Von jungen Erwachsenen über Familien bis zur „silbernen“ Generation ist hier alles dabei. Etwas wundert uns, wie viele Kinder es bis hierher geschafft haben und mit welchem Schuhwerk einzelne Menschen unterwegs sind…

Wir wandern weiter, balancieren über Geröllfelder und steigen diverse Treppen hinauf, bis wir auf dem Dach des Nationalparkes ankommen. Der Skuleberget hat mittlerweile eine Höhe von 295 Metern, in ca. 1.000 Jahren wird er voraussichtlich ein „veritabler“ Dreihunderter sein…Der Blick ist fantastisch! Allein sind wir hier aber nicht. Anscheinend starten täglich im Sommer ganze Heerscharen an Besuchern von den drei Eingängen des Parkes hierher. Die berühmte Schlucht ist wegen Steinschlaggefahr gesperrt. Man kann nur von unten und von oben einen Blick hineinwerfen und die bis zu 30 Meter hohen roten Granitwände sind sehr beeindruckend! Unvorstellbar, dass das alles einmal unter Wasser lag! Wir haben Glück und erwischen einen Moment ohne „Heerscharen“ vor der Schlucht. Bis zu den Bergseen geht es auf gleicher Route zurück – Trittsicherheit braucht auch das, aber es ist doch deutlich weniger schweißtreibend. Dann gönnen wir uns eine wohlverdiente Pause, bevor wir auf anderem Weg abwärts steigen. Auf der Karte sieht es ganz einfach aus, aber der Abstieg durch die Schlucht zur Insel Tärnettholmarna hat es ebenfalls in sich und wir sind froh, diesen Weg nicht für den Aufstieg gewählt zu haben. Die Hände kommen mehrfach zum Einsatz… Unterwegs finden wir immer wieder neue Fotomotive am Weg.

Als wir nach gut 3 Stunden wieder bei den Fahrrädern ankommen, sind wir wirklich froh, die letzten 4 Kilometer nicht laufen zu müssen. Auch wenn die Aussage „nur noch begrab rollen“ nicht ganz stimmte. Es gibt auch auf dem Rückweg ein paar Steigungen…

An Bord gibt es reichlich Apfelschorle zum Kuchen, bevor die Räder wieder verstaut werden. Wir wollen nun noch 10 Meilen zu unserem nächsten Ziel „Ulvöhamn“ „motoren“ – der Wind kommt mit 3-5 Knoten direkt von vorn und ist somit für uns nicht segelbar.

Ulvöhamn liegt malerisch auf der nördlichen der beiden Ulvö-Inseln mit Südausrichtung. Malerisch und pittoresk zeigt es sich schon vom Wasser aus mit rot gestrichenen Boots- und Wohnhäusern. Wir machen am Gaststeg vor Heckboje fest, entrichten unser Hafengeld im Hafen Café und lassen es uns im Cockpit bei endlich wieder herauskommender Abendsonne mit einem Glas Champagner gutgehen. Unser liebe Freundin Moni hatte uns zwei Flaschen mit diesem edlen Tropfen für besondere Momente mit auf die Reise gegeben. Die erste Flasche gab es zu Werners Geburtstag, die zweite heute. Denn heute ist der Wendepunkt der Reise – wir befinden uns nun auf dem Rückweg. Näske war der nördlichste Hafen (63°9′ Nord, 18°,32′ Ost), nun geht es Richtung Süden!

Nach dem Abendessen spazieren wir durch den Ort und gönnen uns ein Eis. In Ermangelung von Bargeld (liegt an Bord), bekommen wir es bei der freundlichen Eisverkäuferin auf Kredit: Wir dürfen morgen bezahlen! Sie informiert uns auch gleich ein bisschen über das Leben hier in Ulvöhamn, dass im Winter ganze drei Bewohner hat. Es gibt ein kleines Museum, das wir uns für morgen vornehmen.

PS: Bei der abendlichen Berichterstellung googeln wir zum Nationalpark und stellen fest, dass wir nicht auf dem Skuleberget Gipfel, sondern nur einem Nebensattel waren. Der Gipfel befindet sich auf der anderen Schluchtseite. Dort soll es ein Café geben und es führt eine Seilbahn hinauf – das erklärt, warum an den Seen so viele Familien und Menschen mit leichtem Schuhwerk waren. Von der Bergstation führt eine leichte Wanderung zum See…

Mittwoch, 31.07.2024 – Ulvöhamn – Bönhamn – 11 Seemeilen

Morgens gibt es auf der Insel keinen Strom, daher müssen wir die geplante Wäsche erstmal verschieben. Im Hotel am Hafen sitzen die Gäste beim Frühstück ohne Kaffee – wir können uns dank des Gasherdes trotzdem unseren Kaffee gönnen! Zum Abwasch meldet Werner „Strom wieder da“, was unser Schnellkocher zuverlässig anzeigt. Also doch noch waschen. Die Wartezeit bis zum Ende des Waschgangs nutzen wir zum Bericht Schreiben und Zeitung Lesen bevor wir uns auf einen erneuten Ortsrundgang machen – wir müssen ja unsere „Eis-Schulden“ begleichen! Die Inhaberin des Eisladens empfiehlt uns den Aufstieg zum Lotsenhaus – klar, dass wir dieser Empfehlung folgen.

Zuerst werfen wir aber einen Blick in das örtliche Museum, das das Leben auf der Insel vor über 100 Jahren darstellt. Der schmale Sund und die reichen Heringsvorkommen führten zu einer Blütezeit der Fischerei. Davon zeugen noch heute die hölzernen Gestelle, an denen die Netze getrocknet und gesäubert wurden. Es entstand eine Fischindustrie für den „Surströmming“, einen fermentierten Fisch. Diese traditionsreiche Mahlzeit, so verrät uns das Internet, ist nur etwas für die ganz Mutigen, denn der Fisch ist nichts für Menschen mit feiner Nase. Faulig und stinkig sind die netteren Umschreibungen. Salz war früher rar und teuer, deshalb wurden der Ostseehering in Fässern mit Salzlake gegoren und später in Konservendosen abgefüllt. Hier in Ulvöhamn, dessen Ufer mit den typischen roten Holzhäusern geschmückt ist, bekommt man diese Konserven im örtlichen Landhandel. Wir nehmen vom Kauf abstand, nachdem wir den Tipp zur richtigen Öffnung gelesen haben: „Beim Anstechen stets schräg halten, damit die Lake nicht auf Klamotten oder Ähnliches spritz – den Gestank bekommt man nicht so schnell wieder raus“. Unvorstellbar an Bord!

Nachdem wir die kleine Kirche besichtigt haben, deren Altar von auf die Wand gemalten Säulen täuschend echt flankiert wird, beginnen wir den Aufstieg zum Lotsenhaus auf dem „Lotsberget“ hinter dem Ort. Insgesamt führen 254 Stufen hinauf, jede einzelne versehen mit einem Namensschild der stiftenden Person – welch ein Prägeaufwand! Von oben haben wir einen tollen Ausblick über die beiden Inseln Ulvö Nord und Süd sowie die vorgelagerten Schären bis zum Horizont, hinter dem irgendwann die finnische Küste liegt. Die Ostsee ist hier ganz schön weit. Dass hier oftmals ordentliche Brecher angerollt kommen, kann man gut an der Färbung der Granitküste erkennen. Im regelmäßig überspülten Bereich leuchten sie rot, darüber erscheinen sie durch die Flechtenbewuchs eher grau.

Nach dem Abstieg schauen wir noch in die Kapelle mit ihren erhaltenen Wandgemälden von 1622. Hier haben wir Glück, dass der Tross der Tagestouristen, der vor einer halben Stunde von einem Ausflugsschiff „ausgespuckt“ wurde, gerade weitergezogen ist, und können uns das Innere allein und in aller Ruhe ansehen.

Unterdessen ist unsere Wäsche fertig und wir kehren zu unserem schwimmenden Zuhause zurück. Die Wäsche wandert von der Waschmaschine in den Trockner und Barbara kauft in der Hafen-Konditorei ein paar leckere Stücke für die Fika am Nachmittag, bevor es erstmal Brunch gibt.

Wir vertrödeln die Trocknerzeit entspannt im Cockpit bis die Wäsche nur noch feucht ist und an und unter Deck fertig trocknen kann. Pünktlich zum Ablegen beginnt es zu regnen, so verkrümeln wir uns erstmal in unsere „Wäschekammer“ unter Deck und warten den Schauer ab. Im Anschluss laufen wir unter Dieselsegel 10 Seemeilen in Richtung Süden nach Bönhamn. Unterwegs zieht der Himmel sowohl im Süden als auch im Norden zu. Das sieht wenig spaßig aus, aber Wind ist Fehlanzeige und anscheinend kämpfen zwei Wolkenfronten genau über uns gegeneinander. Erst zum Einlaufen, siegt die eine und überzieht uns mit einem Regenschauer. Also gibt es Fika unter Deck.

Auch das malerische Dorf Bönhamn schmückt sich mit den typischen roten Häusern, die das Ufer der rundum geschützten Bucht säumen. Früher waren es einmal Fischer-, heute Ferienhäuser. Davor gibt es beschränkten Platz für Gästeboote entweder längsseits an der Brücke oder besser unter Heckanker, der mitten im Hafenbecken „versenkt „ wird. Für uns rückt ein deutscher „Längsseitslieger“ etwas vor, damit wir mit dem Bug noch an den Steg passen. Nach dem Regenschauer starten wir unsere kleine Spazierrunde durch den Ort. Da wir uns nun am Festland befinden, stehen auch neben vielen der hübschen Häuschen Autos, was den ansonsten sehr pittoresken „Astrid Lindgren Eindruck“ etwas trübt. Während Werner sich um das Abendessen kümmert, darf Barbara noch den „Natursti“ erwandern, der schöne Ausblicke auf vorgelagerte Schären und die freie Ostsee bietet, aber nach dem Regen auch viel Aufmerksamkeit erfordert. Die mit Flechten bewachsenen Felsen und Steine sind feucht und extrem rutschig! Und natürlich erreicht sie auch noch der nächste Schauer und sie kommt triefend nass wieder an Bord an.

Leider haben wir auch hier wieder keinen Internetempfang. Wir sind beide Kunden bei vodafone und hier scheint die Abdeckung nur für Telekom-Kunden zu funktionieren. Da für morgen kräftiger Wind aus Nordwest vorhergesagt ist und wir uns mit Markus und Freundin Kathrina in den nächsten Tagen treffen wollen, laufen wir mehrmals mit dem Handy am ausgestreckten Arm durch die Gegend, bis wir eine Stelle finden, an der wir zumindest 1-2 Balken 3G-Netz haben, was ausreicht, um das Wetter zu sichten und Whatsapp zu empfangen. Von Markus bekommen wir eine Sprachnachricht: Treffen schon morgen! Ein Hafen, der sowohl für uns Segler als auch für die „Van-Crew“ passt, ist schnell gefunden: Lustholmen.

Donnerstag, 01.08.2024 – Bönhamn – Lustholmen – 20 Seemeilen

Die Nacht war unruhig. Der Wind drückte uns schräg von achtern auf das längsseits liegende Nachbarboot und das Ohr segelnder Menschen lauscht irgendwie immer auf neue, eventuell ungute Geräusche. Den (frühen) Morgenkaffee trinken wir an Land im Windschatten mit Sonne und besagtem schwachen Internetempfang, um nochmals das Wetter zu überprüfen. Nachts war es recht böig, aber nicht so stark wie erwartet. Nachdem unser Nachbar abgelegt hat, haben wir leichtes Spiel mit unserem Ablege- und Anker-auf-Manöver. Werner muss kräftig zupacken, denn der Hafengrund ist sehr schlammig und der Anker scheint sein Gewicht über Nacht verdoppelt zu haben. Noch im Hafen klaren wir alles auf und segeln dann nur unter Genua, teilweise im ersten Reff die Küste entlang in Richtung Süden. Jento schafft dabei auf der Welle reitend bis zu 7,8 Knoten über Grund – Wahnsinn. So macht Segeln richtig Spaß, zumal auch die Sonne uns die ganze Zeit ins Cockpit scheint. Nach gut 3,5 Stunden sind die 20 Meilen abgesegelt.

Unser Zielhafen „Lustholmen“ liegt vor allen Winden geschützt in einer kleinen, von Bäumen gesäumten Felsbucht. Eigentlich ist es eine Festlandsnase mit angedockter Schäre. Verbunden sind beide Teile durch einen herrlichen Sandstrand. Der Hafen ist nicht mal zur Hälfte belegt, verfügt über den normalen Hafenservice (Wasser und Strom am Steg, WLAN(!), Duschen, WC, Sauna und einen Selbstbedienungskiosk mit Picknicktischen auf teilweise überdachter Terrasse. Für all den Luxus zahlen wir hier 220 SKR (ca. 19€). Das sonnige Wetter hält sich noch ein paar Stunden, aber am Nachmittag zieht es zu und so sind wir froh, dass das geplante abendliche Grillen auf die überdachte Terrasse verlegt werden kann. Unsere Gäste trudeln am späten Nachmittag ein und die Wiedersehensfreude ist groß! Der Van kann zwar nicht direkt am Hafen stehen, aber mit dem Dingi ist es nur eine kurze Spritztour bis zum Parkplatz. Nach einem Begrüßungsgetränk „schmeißen“ wir unsere Vorräte zusammen und kommen so zu einem leckeren Abendessen mit Spareribs, Würstchen und Lachs vom Grill dazu frische Kartoffeln und bunter Salat.

Praktischerweise können wir auch gleich den Abwasch im Seglerheim erledigen. Wir sind immer wieder begeistert von diesen kleinen „Außenhäfen“ (Uthamn) der verschiedenen Segelvereine. Es ist alles liebevoll gepflegt und einige Clubmitglieder sind vor Ort und helfen. Wir lassen den Abend bei Wein und Schnack in der Kuchenbude ausklingen und beschließen gemeinsam, am nächsten Tag zu einem ähnlichen Spot weiterzuziehen.

Freitag, 02.08.2024 – Lustholmen – Åkeröviken – 23 Seemeilen

Morgenkaffee und los – so die heutige Devise! So haben wir die 23 Seemeilen schon um 12:30 Uhr abgesegelt (naja, zumindest den Großteil – der Motor läuft nur knapp eine Stunde). Unterwegs schaut uns mal wieder ein neugieriger Seehund nach, nun schon der zweite innerhalb einer Woche. Leider immer in zu großer Entfernung für einen Schnappschuss…

Die Van-Crew konnte unterwegs noch etwas einkaufen und so genießen wir einen Brunch mit richtig breiter Auswahl im Cockpit. Auch sind wir wieder in einem  „Uthamn“, allerdings mit weniger Service. Es gibt keinen Strom und keine Sauna… Dafür ist der Preis hier mit 100 Skr sensationell günstig. Direkt am Hafen ist ein Parkplatz mit Höhenbegrenzung – der Van passte durch und so sind wir hier quasi Nachbarn.

Der Hafen liegt auf der Insel Åstön, die von 1940 bis 1982 ein militärisches Sperrgebiet war, heute aber ein Naturreservat. Gelbe Hinweisschilder warnen engmaschig vor Tauchen, Graben, Baden und Feuermachen außerhalb gekennzeichneter Plätze, da sich wohl überall noch Munitionsreste verbergen können. Es gibt einen markierten Wanderweg zur Südostspitze der Insel, den wir gemeinsam in Angriff nehmen. Zwischenzeitlich kommt unverhofft die Sonne heraus und wir genießen den anfangs schmalen Pfad durch Wald, Heide- und Blaubeerflächen und Felsklippen. Hier sehen die Felsen schon wieder anders aus als an der Höga Kusten, die wir heute hinter uns gelassen haben. Der Fels ist grau und sieht für unser laienhaftes Auge nicht nach Granit aus. Er zeigt auffallende dunklere Einschlüsse und an einer Stelle finden wir eine Ader, in der das Licht sich wie in einem Spiegel bricht und glitzert. Auch schwarze, kohleartige Einschlüsse finden wir. Leider begleitet uns unterdessen eine geschlossene Wolkendecke und so fehlt die Sonne für schöne Aufnahmen.

Nach dreiviertel der Wanderstrecke kommen wir zur ehemaligen Fischersiedlung Skeppshamn und erreichen das dortige Cafe zu einer späten Fika. Der Ausblick auf die offene Ostsee ist großartig und Eis und Kuchen schmecken allen. Die Sonne kommt heraus und krönt die Pause mit angenehmer Wärme. Leider sind wir für die Besichtigung von Kapelle und Fischereimuseum zu spät dran, aber dank eines QR-Codes zu einem Video erfahren wir, dass auch hier die Menschen sich in früheren Zeiten mit der Herstellung von Surströmming Fischkonserven ihr Auskommen gesichert haben.

Den Tag beschließen wir mit einem typisch schwedischen Abendessen: Köttbular mit brauner Soße, frischen Kartoffeln und Preiselbeermarmelade!

Samstag, 03.08.2024 – Åkeröviken – Alnön Kuggören – 55 42 Seemeilen

Morgens heißt es wieder Abschied nehmen. Markus und Kaddy wollen etwas „Strecke machen“, wahrscheinlich bis Stockholm. Auch wir müssen nun zusehen jeden Tag weiter nach Süden zu kommen. In 6 Wochen wollen wir in Flensburg sein. Wir planen noch ca. 5 Wochen für die schwedische Ostküste, bevor es dann wahrscheinlich über das Smålandsfahrwasser zurück in die dänische Südsee gehen wird. Bis Malmö sind es gut 650 Seemeilen entlang der schwedischen Küste – 20 Seemeilen täglich. Das klingt nicht nach viel, aber wir Segler rechnen immer damit, dass wir mal einwehen, oder ein Weiterkommen durch andere Probleme verhindert wird. Daher wollen wir heute zur Sicherheit einen längeren Schlag machen.

Anfangs segelt es sich raumschots mit 12-15 Knoten Wind aus Nordnordost noch ganz gut. Je weiter wir allerdings von der Küste freikommen, desto höher wird die anrollende Welle. In Verbindung mit abnehmendem Wind und mitsetzendem Strom bedeutet das wenig Druck auf dem Euder und unangenehm schlagende Segel. Das gesamte Rigg erzittert alle paar Minuten. Das zerrt an den Nerven und so bergen wir die Segel und motoren mal wieder… Unterwegs vertreiben wir uns die Zeit mit Hörbuch hören, lesen und „stalken“ befreundeter Schiffe. Dabei fällt Barbara auf, wie voll es auf der Westseite von Schweden ist, während hier bei uns vergleichsweise wenige Schiffe auf Vesselfinder angezeigt werden!

Da wir auf dem Hinweg an einer SXK-Boje vor Kuggören festgemacht hatten und morgens wegen Regen keine Gelegenheit für einen „Landfall“ hatten, planen wir kurzerhand um und beenden den heutigen Törn wieder an der Mooringboje. Morgen werden wir uns dann die Zeit nehmen, den hübschen kleinen Ort anzusehen.

Erkenntnis der Woche: …nicht immer ist der Weg das Ziel, manchmal ist es auch das Ziel

3 Antworten

  1. Moin Babara und Werner,

    Eure Reiseberichte sind ganz toll, gut geschrieben, kurzweilig zu lesen und immer informativ.
    Danke für eure Mühe.
    LG Gabi & Hans Uwe
    SY ANNEKE
    V45

    1. Hallo ihr Zwei,

      …es freut uns, dass sie euch gefallen! Für uns ist es quasi ein Reisebericht. Wir sehen und erleben so viel, da würde sicherlich einiges in Vergessenheit geraten, wenn wir es nicht festhalten würden. Auf diese Weise disziplinieren wir uns selbst 😉 Vielleicht sehen wir uns zum Vindötreffen in Wasserleben?

      Liebe Grüße von der Jento-Crew
      Barbara und Werner

  2. (schwedisch, blond, hübsch !) : ))))
    Wieder toll zu lesen und superschöne Bilder habt ihr gemacht! Wer fotografiert euch eigentlich, wenn ihr beide auf dem Bild seid?

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