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#12 Jento mutiert zum Motorboot

Es ist wie verhext, wir finden keinen Wind! Die Grundströmung ist Anfang der Woche zwar nördlich, aber für unsere schwere „Dickmadam“ reicht der Wind einfach nicht zum Segeln (wir wollen ja auch irgendwann mal ankommen!). Bei durchschnittlich 5 Knoten von achtern würden wir mit ca. 2 Knoten SOG (=speed over ground) ( = 3,6 km/h) vor uns hindümpeln. Da ab Ende der Woche dann Starkwind aus südlichen Richtungen, also direkt von vorn, vorhergesagt ist, gilt es erstmal unter Maschine etwas Strecke zu machen…

Sonntag, 04.08.24 – Kuggören – Agön – 15 Seemeilen

Nach dem Morgenkaffee setzen wir mit dem Dingi über nach Kuggören, eine Bilderbuchkulisse für Astrid Lindgren Fans und als Puzzlemotiv von einem dänischen Puzzlehersteller als Schwedenidyll genutzt (https://cdon.dk/boger/kuggoren-hudiksvall-pussel-1000-bitar-p75444335). Wir landen an einer Stelle an, die öffentlich  wirkt und spazieren durch den Ort, der zwar autofrei ist, allerdings von Quads erreicht werden kann. Das Bilderbuchambiente wird dadurch und durch die vielen Stromleitungen und riesigen Seezeichen etwas gestört. Schöne Fotos gelingen trotzdem. Die meisten Häuser werden als Ferienhäuser genutzt, aber es gibt auch noch aktive Fischer, die hier dauerhaft zu leben scheinen. Bei einem von ihnen, einem zahnlosen, nur schwedisch sprechenden, aber sehr kontaktfreudigen alten Schweden kaufen wir einen regionalen geräucherten Fisch. Wir freuen uns über das Gespräch und schon jetzt auf das Abendessen!

Dann geht es zurück an Bord und wir starten in Richtung Agön. Eigentlich war diese Insel schon gestern unser Ziel, aber wir hatten keine Lust mehr auf Maschinenlärm und haben deshalb abgebrochen. So  sind wir heute nur knapp 3 Stunden unter Maschine bei bestem Wetter unterwegs. Wir sehen einen fidelen Seehund, der allerdings abtaucht, bevor wir die Kameras zücken können, und einen toten Seehund, der am Boot stinkend vorbeitreibt – kein schöner Anblick!

Bei unserer Ankunft haben wir die Bucht für uns. Es gibt einen Steg, an dem vor Heckanker festgemacht wird oder 3 SXK-Bojen zur Auswahl. Wir entscheiden uns für die erste Boje und damit den geringsten Aufwand – nur eine Leine wird benötigt. Nach Brunch und kleiner „Wohneinheit“ (so heißt bei uns ein Nickerchen), fahren wir mit dem Beiboot zum Steg, um die Insel wandernd zu erkunden. Empfohlen wird ein Spazierweg zum alten Fischerdörfchen „Agönhamn“. Es geht auf verschlungenen Pfaden durch nun schon vertraute schwedische Natur, vorbei an kleinen Stränden, Mooren, Seen, Heidelandschaft, Unmengen an Blaubeeren und irgendwelchen schwarzen Beeren, die an heideähnlichen Sträuchern wachsen.

Das Fischerdorf wirkt wie aus der Zeit gefallen. Hier gibt es keine störenden Stromleitungen und auch keine Quads – die Bewohner reisen mit dem Motorboot an. Vor dem Ort steht eine Ansammlung von Trockentoiletten – für jedes Haus eine. Die kleinen Häuschen und Gärten sind liebevoll gepflegt und uns schallt überall ein freundliches „Hej“ entgegen. Zentral am Hafen finden wir den überall angepriesenen Inselkiosk, ein kleines Regal und eine Kühltasche zur Selbstbedienung. Wir entscheiden uns für ein kühles Getränk und die obligatorischen Schokoböller. Von einer älteren Schwedin erfahren wir, das im Winter lediglich ihr Sohn mit Hund hier lebt. Das muss man auch mögen, muss ziemlich einsam sein!

Zurück auf Jento erfährt Barbara mit Heges Hilfe (Danke!schön), welche Beeren wir da heute gesehen haben: schwarze Krähenbeeren, roh nicht sooo lecker, aber als Marmelade eine Spezialität. In Deutschland gibt es sie wohl kaum noch, hier in Mengen. Wir werde also bei der nächsten Wanderung eine Dose zum Sammeln mitnehmen und dann Marmelade kochen!

Zum Abend gönnen wir uns einen Aperol aus den Abschiedsgläsern der Firma und im Anschluss gibt es den geräucherten Fisch auf Butterbrot mit Schnaps als Getränkebegleitung. Wir prüfen noch kurz die Windvorhersage für morgen. Es sieht gut aus, ab 5:00 Uhr soll es mit 12-15 Knoten aus Nord wehen und so bis zum frühen Nachmittag bleiben. So verkrümeln wir uns rechtzeitig in die Koje, um morgen früh zu starten.

Montag, 05.08.24 – Agön – Sandarne – Synskär – 41 Seemeilen

Werner wacht vor dem Wecker auf und macht einen Rundumblick: kein Wind! Dann müssen wir nicht stressen und können weiterschlafen. So richtig zur Ruhe kommen wir aber nicht mehr und starten letztlich um 8:00 Uhr unter Maschine. Segelbarer Wind ist noch immer nicht da. Am Horizont im Osten sehen wir einen Segler unter Spinnaker. Er hat AIS und so können wir sehen, dass er mit 3,3 Knoten unterwegs ist bei 6 Knoten Wind. Also hat es für uns auch keinen Sinn, unser Glück weiter draußen zu versuchen. Wir ergeben uns in unser Schicksal und laufen unter Maschine. Jento liegt recht ruhig im Wasser und durch die Nähe zum Festland reicht die Internetverbindung, um ein paar „privatbürokratische“ Dinge zu erledigen (Abos kündigen, Überweisungen tätigen, Begründungen für die Einsprüche gegen die neue Grundsteuerberechnung verfassen und so…). Nach zwei Stunden kommt uns die Idee, mal über den Tankinhalt nachzudenken und wir stellen fest, dass wir eine Tankstelle brauchen. Zum Glück ist es nun kein großer Umweg nach Sandarne am Festland, wo wir den kürzesten Hafenbesuch unseres Segellebens absolvieren: 15 Minuten. Hier ist die Seekarte gespickt mit roten Kreuzen, die auf Steine hinweisen. Auf vielen sitzen Kormorane. Als wir uns dem Hafen nähern, kommen wir an 4 Kormoraninseln vorbei, weithin an den abgestorbenen Bäumen erkennbar – sieht gruselig aus. Wir zählen auf einzelnen Bäumen 20 Kormorane und rechnen hoch, dass die hiesige Kolonie so um die Tausend Tiere oder mehr umfassen muss! Während der Weiterfahrt entlang der Küste sehen wir auch am Ufer Unmengen großer Steine liegen. Teilweise sind sie so groß wie die ebenfalls auszumachenden Ferienhäuser. Die Gegend ist steinreich! Wir finden den landschaftlichen Wechsel auf unserer Reise immer wieder spannend. Durch die langsame Reisegeschwindigkeit nehmen wir die Veränderung viel bewusster wahr, als auf einer Autoreise, bei der die Landschaft an einem vorbeifliegt.

Mit vollem Tank geht es weiter unter Maschine und nach 20 Meilen erreichen wir die kleine Schäre „Synskär“ durch ein Labyrinth aus Steinen. Hier möchten wir bei rauher See nicht einlaufen! Die Schäre war früher Lotsenstation und hat heute noch einen kleinen Nothafen und eine SXK-Boje. An der Innenseite des Steges liegen bereits zwei schwedische Boote und bieten uns Hilfe beim längsseitigen Anlegen an der Außenseite an. Wir wollen aber an die Boje gehen. Barbara paddelt an Land und umwandert die kleine Insel auf einem ca. zwei Kilometer langen Rundweg, der teilweise nur schwer auszumachen ist. Die gelben Markierungen an den Bäumen sind schon sehr verwittert und offensichtlich gehen diesen Weg nur wenige Menschen, denn der Trampelpfad ist stellenweise bereits zugewachsen. Mit etwas zerkratzten Beinen kommt sie zurück, weiß aber von guten Vorkommen an „schwarzer Krähenbeere“ zu berichten. Nach dem Abendessen macht sie sich daher bewaffnet mit Tupperdose erneut auf den Weg. Die schwarze Krähenbeere lässt sich viel leichter sammeln als Blaubeeren, da in der Regel 3-4 Beeren zusammen am Strauch wachsen und fast von allein in die Hand purzeln, wenn man sie berührt. Außerdem haben sie eine festere Schale/Haut als die Blaubeeren und platzen nicht so leicht. Im Ergebnis bleiben die Finger fast sauber! Zurück an Bord wird aus den Beeren unter Beigabe des restlichen 3.1 Gelierzuckers Marmelade gekocht. Das Ergebnis hat eine Farbe von Fliederbeermarmelade und ist sehr „schnittfest“, was daran liegen könnte, dass diese Früchte viel Pektin enthalten (oder daran, dass wir keine Waage an Bord haben und Barbaras Gewichtsschätzung falsch war).

Leider steht der Grundschwell der Ostsee etwas in die Bucht und wegen des fehlenden Windes richtet Jento sich quer zur Welle aus – wir werden ziemlich durchgeschaukelt und verlegen daher für eine ruhigere Nacht doch noch an die Stegaußenseite. Die Schweden laden uns noch zu einem Whisky ein, aber da lehnen wir dankend ab. Die Stimmung ist bereits feuchtfröhlich und sie folgen irgendeiner Sportveranstaltung auf dem Tablet.

Dienstag, 06.08.24 – Synskär – Ankerbucht Söderboda Fiskehamn – 47 Seemeilen

Der Tag begrüßt uns bedeckt und ohne Wind. Um 9:00 Uhr legen wir ab und schlängeln uns zurück ins freie Wasser. Dann setzen wir den Kurs auf Ost-Südost. In ca. 5 Stunden sollten wir auf eine Untiefentonne treffen, vorher gilt es nichts zu beachten. Wir kümmern uns unterwegs um den Haushalt: Saugen, bis der Akku des Staubsaugers leer ist. Da unser „Fußboden“ aus einzelnen Platten besteht, verschwinden Krümel, Staub und HAARE regelmäßig durch die Ritzen in die Bilge. Also muss auch unter dem Fußboden regelmäßig gesaugt werden. Auf so einer Motorfahrt bietet sich das an. Danach wird Milchreis für die Fika gekocht – ihr wisst, diesen Stimmungsaufheller brauchen wir auf Motorfahrt! Langsam reißt die Wolkendecke auf und die Sonne lacht bei gebügelter See von einem strahlend blauen Himmel. Unterwegs besuchen uns zwei Seehunde und es sieht total lustig aus, wenn sie kurz abtauchen, um wenig später mit Schwung wieder aufzutauchen und dabei nicht nur den Kopf, sondern auch den Körper bis zur Brust sehen zu lassen. Es erinnert etwas an eine luftgefüllte Boje, die unter Wasser gezogen wird und dann mit einem Plopp wieder hochschießt. Nach 5 Stunden wird (etwas) Wind geliefert und wir setzen die Segel. Auch wenn wir damit deutlich langsamer unterwegs sind, genießen wir es beide! Leider läuft es nur 3 Stunden ganz gut, dann sinkt die Reisegeschwindigkeit unter 3 Knoten und das Ziel ist noch knapp 12 Seemeilen entfernt – das Dieselsegel wird wieder aktiviert.

Nach 10 Stunden fällt der Anker in der kleinen, sehr idyllischen Ankerbucht von Söderboda Fiskehamn auf drei Meter Wassertiefe. Hier ist nur Platz für ein Boot vor Anker, welch ein Glück, dass dieser wunderbare Platz nicht schon belegt war! Zum Sundowner paddeln wir an Land und klettern auf ein paar sonnenwarme glatt geschliffene Felsen. Bei einem kleinen Abstecher „um die Ecke“ zu den Bootsgaragen entstehen ein paar schöne Bilder.

Mittwoch, 07.08.2024 – Söderboda Fiskehamn – Grisslehamn – 24 Seemeilen

Jento hat sich in der Nacht überhaupt nicht bewegt – wir haben herrlich geschlafen!

Nachts wird es jetzt schon oft recht frisch und es bildet sich jede Menge Tau. Den Morgenkaffee können wir auf der sonnigen Seite des Cockpits genießen, wo die Sonne die Taunässe bereits getrocknet hat. Richtung Norden und offene Ostsee steht eine Nebelbank – sieht mystisch aus! Wind ist leider wieder keiner im Angebot. So laufen wir unter Motor, aber bei Sonnenschein Richtung Südost in den Sund zwischen Festland und der Insel  Gräsö, der nach Süden immer enger wird. Langsam verändert sich auch wieder die Landschaft. Die großen Steine am Ufer verschwinden, stattdessen sehen wir wieder Felsküste. Und die Zahl der Ferienhäuser nimmt zu. Wir nähern uns dem Stockholmer Speckgürtel! Heute steuern wir mal wieder einen Hafen an, denn wir brauchen Frischwaren und Wasser und müssen unseren Müll loswerden. Und eine warme Dusche würden wir auch beide begrüßen. Da auch für morgen kein segelbarer Wind vorhergesagt ist, haben wir uns dazu entschlossen, durch den Väddö-Kanal nach Süden zu fahren und nicht außen auf der Ostsee. Deshalb bot sich Grissleham als Zielhafen an.

Der Ort hat zwei Häfen, einen auf der inneren Schärenseite und einen zur offenen Ostsee. Mit dem Boot von einem zum anderen bedeutet einen Törn von 18 Seemeilen. Zu Fuß sind es nur ein paar Hundert Meter. Der innere Gästehafen hat super schmale Y-Ausleger an sehr niedrigen Schwimmbrücken. Unser Anlegemanöver missglückt! Hier haben wir seitlichen Wind, der uns auf einen der Ausleger drückt. Die Fender hängen nicht tief genug und es sind auch zu wenige. Im Ergebnis trägt Jento eine Schramme davon, die sich hoffentlich wieder auspolieren lässt. Es ist uns ein Rätsel, wie man von hochbordigen Schiffen den Festmacher am Ende des Auslegers durch einen kleinen Ring fädeln soll. Barbara muss sich bäuchlings auf das Deck legen und unter der Reling hindurchtauchen, um den Ring zu erreichen. Vorn am Bug dann das nächst Problem: Durch einen beherzten Sprung kommen wir zwar auf die Brücke, aber da wir keine Leiter am Bug haben, verlangt das Aufsteigen einigen sportlichen Einsatz. Wir sind sehr beruhigt, dass ein später einlaufendes schwedisches Schiff mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat. Barbara hilft mit dem Dingi und fädelt von dort den Festmacher am Ausleger ein.

An Land erschlagen uns die vielen Menschen. Wir haben den Eindruck, in einer anderen Welt gelandet zu sein. Zum Hafen gehört auch ein Stellplatz für Wohnmobile, nebenan ist ein großer Campingplatz und der Ort ist voller Autos. Im Hafenbüro dann der nächste Schock: es werden 500 Skr aufgerufen. Wir fragen nach dem enthaltenen Service bei diesem hohen Preis und bekommen ein Gratisfährticket für die Fähre zu den Ålands mit dem Hinweis, dass wir unterwegs zollfrei einkaufen können. Nun wissen wir auch, warum hier so viel Betrieb ist. Nachdem die Einkäufe verstaut sind, brechen wir zu einem Rundgang zum zweiten Hafen auf. Unterdessen hat der Wind ordentlich aufgefrischt und dieser zweite Hafen ist offen zum Wind. Die Entscheidung für die „innere Route“ war wohl die richtige. Im Hafen liegen mehrere Fischkutter, die täglich frischen Fisch anlanden, den man dann direkt im Fischladen nebenan kaufen kann. Wir planen das Abendessen um und kaufen Lachsfilet und kleine Barschfilets, die Werner brät bzw. dünstet und zu Baguette, zweierlei Soße und einem bunten Salat serviert – ein Gedicht!

Donnerstag, 08.08.2024 – Grisslehamn – Ankerplatz Vätöberg Verviken – 23 Seemeilen

Es ist bedeckt, aber warm beim morgendlichen Kaffee im Cockpit. Der Wind weht zwar aus der vorhergesagten Richtung (Südost), aber statt mit 4-5 Knoten mit 8-10. Nun ist es aber zu spät sich umzuentscheiden und wir freuen uns auch schon auf die Kanalfahrt.

Der Väddökanal ist ein künstlicher Wasserweg, der erstmals im 16. Jahrhundert gegraben wurde. Er verbindet den Bagghusfjärden im Süden mit dem Väddöviken im Norden und führt in der Mitte durch den See Storfjärden. Er verläuft entlang eines ursprünglichen Wasserweges, der im Mittelalter nicht mehr schiffbar war und ermöglicht auch bei schlechten Wetter- oder Windbedingungen die Weiterreise von Süd nach Nord oder umgekehrt. Durch Verlandungen waren erneute Ausgrabungen und Verbreiterungen zwischen 1820 und 1840 sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts nötig. Heute wird der Kanal ganz überwiegend von Freizeitbooten genutzt, 20.000 pro Jahr fahren hier durch. Er ist jedoch nur für Schiffe mit einer Masthöhe kleiner 17 Meter und einem Tiefgang mit kleiner 2 Metern befahrbar. Für Jento passt das. Es gibt eine Brücke und eine Hochspannungsleitung mit maximaler Durchfahrtshöhe von 17 Metern. Eine Klappbrücke und eine Drehbrücke auf der Strecke öffnen einmal in der Stunde. Die Tiefenangaben können wir nicht bestätigen. Wir haben durchgängig mindestens 3,20 Meter Tiefe auf unserem Echolot gesehen.

Anfangs ist der Väddöviken noch recht breit und wir sehen wieder viele hübsche und einige weniger hübsche Ferienhäuser beidseits an den Ufern. Beim Ort Älmsta beginnt der eigentliche Kanal und hier ist auch gleich die Klappbrücke. Sie öffnet zur vollen Stunde und wir machen an einer kleinen Brücke fest, um die Zeit abzuwarten. Pünktlich geht es dann weiter und nun wird der Kanal richtig schmal. Bei Gegenverkehr haben wir Sorge, den Uferbäumen mit der Saling zu nahe zu kommen. Seitlich gibt es einen alten Treidelweg als Rad- und Wanderweg. Die zweite Brücke erreicht man bei Marschfahrt von 5 Knoten genau nach einer halben Stunde, weshalb diese Brücke immer zur halben Stunde öffnet. Diesmal ist es eine Drehbrücke und wir haben Entgegenkommer, die wir passieren lassen müssen, bevor wir durch die Brücke fahren dürfen. Das wird durch Leuchtzeichen an der Brücke angezeigt (rot bzw. grün). Nun öffnet sich der Wasserweg in den Bagghusfjärden und wir spüren, dass der Wind deutlich zugelegt hat. Statt mit den angesagten 4-5 Knoten sind es unterdessen 15-18 Knoten. Leider ist es zum Kreuzen zu eng (oder wir zu faul?), so laufen wir bei Wind und Welle gegen an mit 4,6 Knoten bis zur ausgewählten Ankerbucht, in der leider schon ein Schwede liegt. Für zwei Boote ist es zu eng. Zum Glück gibt es „um die Ecke“ bereits die nächste Ankerbucht und die ist frei. So fällt der Anker auf 6 Metern Wassertiefe, wir stecken 15 Meter Kette. Viel mehr erlaubt der Schwoikreis hier nicht. Heute Nacht soll der Wind einschlafen und wir liegen umgeben von Bäumen – das sollte passen.

Schon in der eigentlich anvisierten Ankerbucht fielen uns große Bruchsteine auf. Auch hier gibt es noch einige. Wir wissen mal wieder nichts über diesen Ort und machen uns daher im Internet schlau, bevor wir zu einem Spaziergang aufbrechen. Der Vätöberg, neben dem unsere Ankerbucht liegt, war einmal ein Steinbruch. Der Granitabbau begann hier 1892. Der Granit wurde für den Bau des Reichstagsgebäudes in Stockholm und für den Bau der Königlichen Oper in Stockholm verwendet. Damals wurde vor allem roter Granit abgebaut, später auch Diabas (eher grau-gün), der für den Bau des „Streichholzpalastes“ in Stockholm verwendet wurde (Firmensitz des Streichholzmonopolisten Ivar Kreuger). Direkt neben unserer Ankerbucht entstand 1898 ein Steinmetzbetrieb, der das Fundament für die Statue von Birger Jarl auf dem gleichnamigen Platz in Stockhom herstellte. Das Original stammte aus Italien und diente als Vorlage. Das italienische Original haben wir auf unserer Spazierrunde gefunden. Der eigentliche Steinbruch ist geschlossen und da der Zugang anscheinend nur über ein Privatgrundstück möglich ist, haben wir von einer Besichtigung abgesehen und einen anderen Rundweg gewählt.

Freitag, 09.08.2024 – Ankerplatz Vätöberg Verviken – Furusund – 13 Seemeilen

Die Nacht war super ruhig und unsere Vorschiffpersenning hat guten Dienst gegen den nächtlichen Schauer geleistet. Nach dem Morgenkaffee holen wir den Anker auf, der im schlammigen Grund gut gehalten hat. Beim Ausbrechen durch die Ankerwinsch, „nickt“ Jento einmal kurz mit dem Bug, dann ist er frei. Wie angekündigt haben wir heute keinen Wind. Der gestern recht aufgewühlte Fjord ist heute wie gebügelt. Unterwegs sehen wir einen kleinen Kopf mit „Bugwelle“ im Wasser – ein Otter?!? Wir wollen ihn nicht ängstigen und fahren nicht näher heran. Der Fjord hat hier eine Breite von ungefähr einer Seemeile und wir sind beeindruckt, dass dieses kleine Tier ihn allein schwimmend überquert… Nach gut 2 Stunden erreichen wir unser Ziel: Furusund. Hier hat Astrid Lindgren ihr Sommerhaus gehabt, das noch heute in Familienbesitz ist. Hier hat sie viele ihrer Geschichten erdacht und zu Papier gebracht und angeblich hat hier auch einmal ein Pferd auf der Veranda gestanden…

Mit den Fahrrädern erkunden wir die Insel, die mit dem Auto über Brücken gut zu erreichen ist. Entsprechend groß sind hier die Ferienhäuser – wahre Anwesen, die auch gut als Dauerwohnsitz dienen könnten. Rund um die Insel führt ein Wanderweg mit Zugang zu mehreren Badestellen. Je nach Windrichtung findet sich immer ein windgeschütztes Plätzchen. Auch das Ferienhaus von Astrid Lindgren finden wir dank eines Artikels in der Zeit mit einem Foto – ausgeschildert ist es nicht.

Abends gibt es Livemusik im Hafenbistro und wir kommen schon am Nachmittag in den Genuss des „Soundchecks“. Noch lacht die Sonne vom blauen Himmel, aber der Wind hat bereits kräftig aufgefrischt und gegen Abend ist mit durchziehenden Regenfeldern zu rechnen. In der Kuchenbude bleibt es gemütlich, aber pünktlich zu Konzertbeginn kommen auch die dunklen Regenwolken bei uns an. Die Schweden stört es nicht, sie sind hart im Nehmen und halten auf der teilweise offenen Terrasse durch. Die Stimmung ist gut und so gehen wir auf einen Drink vorbei. Wir treffen auf ein deutsches Skipperpaar und kommen ins Gespräch. Mit zunehmendem Regen und nach Ende des Konzertes verkrümeln wir uns gemeinsam in unsere Kuchenbude und spinnen bei alkoholischen Getränken gemeinsam etwas Seglergarn – immer wieder eine Freude, wenn man unterwegs auf nette Menschen trifft!

Samstag, 10.08.2024 – Furusand Hafentag – 0 Seemeilen

Die Windvorhersage passt: Wind aus Südwest mit 20-27 Knoten. Da wir genau in diese Richtung wollen, macht es wenig Sinn auszulaufen. Mit Rückenwind wären wir nur unter gereffter Genua gern durch die Schären gerauscht. Aber wir müssten in einem der Hauptfahrwasser Richtung Stockholm aufkreuzen. Das macht bei dem Verkehr hier und der Trägheit unserer „Dickmadam“ an der Kreuz wenig Sinn. Hier kommen echte Riesen durch:

Also beschließen wir einen Ausflug nach Norröra (uns und euch besser bekannt als „Saltkrokan“) zu machen. Mit der Fähre dauert es je nach Route 30-60 Minuten. Auf der Insel gibt es keine Autos, beliebtes Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad (gern ziemlich alt und klapprig). Gepäck und Einkäufe werden mit Schubkarre oder Handwagen transportiert. Für grobe Arbeiten wird auf Traktoren oder Quads zurückgegriffen. Auch hier gibt es einen Wanderweg um die Insel, den wir direkt in Angriff nehmen. Sobald man die windzugewandte Küste etwas hinter sich lässt, wird es fast windstill zwischen den hohen Bäumen und stellenweise hochsommerlich warm. Unterwegs finden wir ein lauschiges Plätzchen für das mitgebrachte Frühstückspicknick und später auch für unseren Lunch. Auf der Insel gibt es keinerlei Einkehrmöglichkeiten und zum Glück hatten wir den Hinweis vorher gelesen, sodass wir nicht unvorbereitet sind und daher unsere Rucksäcke gut gefüllt haben!

Der nördliche Teil der Insel ist bewaldet und wir haben den Eindruck, uns im Ameisenland zu befinden. Es gibt Unmengen der roten Waldameisen und sie finden trotz unseres strammen Gehtempos den Weg in unsere Sandalen, um uns zu beißen. So gerät der Spaziergang etwas zu einem stampfenden, tänzelnden und hüpfenden Marsch, unterbrochen von kleinen Verschnaufpausen auf ameisenfreien Baumstümpfen oder Steinen.

Der südliche Teil der Insel ist offener und durchsetzt von Felsen. Die Häuser wirken wie wahllos hingestreut und liegen malerisch zwischen einzelnen Bäumen und Felsen, die Gärten eingefriedet mit pittoresken Zäunen. Gras- und Schotterwege führen zwischen den Häusern hindurch und verbinden sie mit den vielen kleinen Brücken, an denen die Bewohner ihre kleinen Motorboote festmachen. Wir begegnen Kindern und Erwachsenen, die mit dem Rad unterwegs sind zum Angeln oder zum Schwimmen. Es herrscht eine tiefenentspannte Stimmung – Saltkrokan eben! Wir finden das „Schreinerhaus“, das eine zentrale Rolle in der Fernsehserie „Ferien auf Saltkrokan“ spielte. Hier hatte sich die  Familie Melcherson im Film eingemietet.

An der kleinen Kapelle im Ort finden wir eine Bank und einen kleinen Tisch, an dem wir uns für die „Fika“ niederlassen und die Zeit bis zur Rückfahrt für unsere Berichtsarbeit nutzen – es ist schon wieder Samstag – die Tage fliegen!

Erkenntnis der Woche: Jeder Ort hält wunderbare Überraschungen für uns bereit. Wir brauchen nur die Augen und Herzen dafür zu öffnen!

8 Antworten

    1. Liebe Christiane,

      danke für dein positives Feedback – das freut uns sehr, insbesondere von einer „Schwedenkennerin“! Genießt den Sommer im Schwedenhaus mit der Familie, wir sehen uns im Herbst!

      Liebe Grüße von der Jento-Crew
      Barbara und Werner

  1. Hallo ihr Lieben,
    ein sehr schön zu lesender Bericht und wiedermal fantastische Fotos! Schön , dass wir so regelmäßig an eurer Reise teilhaben können!
    Lieben Gruß ????

    1. Liebe Claudia,
      danke für deinen Kommentar! Mir macht es Spaß zu schreiben und wir sind beide begeisterte Fotografen. So sind unsere Berichte nun zu einem weiteren gemeinsamen Hobba geworden. Ein ganz großes zusätzliches Plus sind die Rückmeldungen und Kommentare und die Tatsache, dass wir so mit euch in Kontakt bleiben 🙂 Danke für das regelmäßige Lesen! Wir freuen uns auf ein Wiedersaehen im September!

      Liebe Grüße von der Jento Crew
      Barbara und Werner und liebe Grüße an die „Bande“ (genießt den Urlaub!)

  2. Klasse Bilder. Aber das kennen wir ja schon! Und wie üblich toll geschrieben!
    Als maritim interessierter Leser glaube ich mich zu erinnern, daß in der einschlägigen Literatur, für Wind gern mal mal am Mast gekratzt wurde, Haifischflossen angenagelt (in der Ostsee gibt es ja Katzenhaie) oder Jungfrauen geopfert wurden. Wobei ich mir mit letzterem nicht sicher bin.????
    Und ob das zwingend ein Holzmast sein muss, auch nicht.????
    Ihr könnt es ja ausprobieren und berichten.
    LH Heike & Thomas

    1. Danke für die Tipps!…wir haben es schon mit Kratzen am Mast und Pfeifen versucht. Das waren „Vatis“ Methoden auf seiner Venga…. Haifischflosssen und Jungfrauen sind leider nicht mit an Bord 😉

      Liebe Grüße von der Jento-Crew
      Barbara und Werner

  3. Wieder einmal ein e- Book Bestseller, den zu lesen mich weiter in Ferienstimmung hält! Die Fotos und die Stimmungen, die davon ausgehen, sind fantastisch und laden zum Träumen vom Sommer in Schweden ein! Saltkrokan, da werden Kindheitserinnerungen wach! Furusund war bestimmt ein besonderes Erlebnis!
    Viele liebe Grüße aus Dänemark sendet euch Moni

    1. Liebe Moni,
      herzlichen Dank für deine liebe Rückmeldung. Ja, für Astrid Lidgren Fans wird hier einiges an Schwedenstimmung geboten – schön, dass du mitreist!
      Liebe Grüße von der Jento-Crew
      Barbara und Werner

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