IMG_1618

#14 Katerstimmung in Schweden

Wir haben es auch schon bei früheren Urlauben in Schweden erlebt, Mitte August „macht Schweden zu“. Die Saison ist vorbei und am 15. August werden alle „Brücken“ hochgeklappt und es geht nichts mehr. Die Restaurants machen komplett dicht oder haben nur am Wochenende geöffnet. Das gleiche gilt für viele Museen und die Hafengebühr wird wieder um die Saisonzuschläge reduziert. Die Häfen sind spontan leergefegt von Schweden – die gehen wieder zur Arbeit. Wir befinden uns mittlerweile in Südschweden und somit in recht gut, mit deutschen Schiffen, gefüllten Häfen – alle sind  auf der Rücktour.  Es herrscht so ein bisschen Katerstimmung – der rauschende Sommer ist vorbei und man muss zusehen, dass man vor den großen Stürmen nach Hause kommt.

Sonntag, 18.08.24 – SXK Ävrö – Figeholm  – 10 Seemeilen

Der Wind ist nachts komplett eingeschlafen – alles ruhig. Erneut eine entspannte Nacht an der Boje. Allerdings ist es kalt geworden. Morgens zeigt das Außenthermometer 11 Grad an. Werner versucht die Dieselheizung zu starten, aber sie will nicht. Wir haben Mitte August – brauchen wir jetzt schon wieder die Winterdecken und Wärmflasche?!?

Wir lösen die Leine und verlassen diese schöne Bucht, die uns wieder direkt auf die offene Ostsee entlässt. Wir wenden uns nach Süden und sofort fällt der Blick auf das AKW Oskarshamn auf der Halbinsel Simpevarp – kein schöner Anblick. Es ist eines der drei aktiven AKWs in Schweden. Ein weiteres haben wir bereits in der Nähe von Gävle gesehen. Das Dritte liegt bei Varberg an der Westküste. Wir müssen direkt davor in das Fahrwasser nach Figeholm einbiegen. Kaum haben wir es passiert, erklingen Signaltöne… Das löst schon eine gewisse Unsicherheit aus! Leider bekommen wir nicht raus, was es mit dem Signalton auf sich hat, aber es bricht keine Hektik aus und auch die Besatzung des SAR-Bootes, das uns kurze Zeit später begegnet, winkt uns entspannt zu.

Das Fahrwasser schlängelt sich durch einen „Unterwassersteinbruch“, so jedenfalls unsere Vermutung. Nur einige flache Felsen schauen aus dem Wasser, unter Wasser liegen lauter kleine und große Steine und Felsen. An der schmalsten Stelle ist das Fahrwasser gerade mal 6 Meter breit. Aber die Stimmung ist schön: kaum Wind, tolle Spiegelungen auf dem Wasser, vorbeiziehende Kanufahrer, viele Vögel (Kormorane, Graureiher, Schwäne, verschiedene Entenarten und Adler). Nach 10 Meilen erreichen wir Figeholm und machen erstmal an der Servicebrücke fest und saugen unser Schwarzwasser ab. Als nächstes wollen wir tanken, müssen dafür Jento allerdings um 90 Grad verholen, da der Schlauch zu kurz ist. Dabei gibt es einen Schlag im Rigg. Ein Blick nach oben zeigt uns den Grund: wir liegen direkt unter dem Riggermast, der leider etwas über die Kaimauer hinausragt. Zum Glück ist nichts passiert – Windex und Antenne sind noch an ihrem Platz. Leider funktioniert die Zapfsäule nicht – nach 5 Minuten sind gerade mal 6 Liter durch den Schlauch geflossen. Der ganze Aufstand war also umsonst…

Wir verholen in den Gästehafen und frühstücken erstmal in Ruhe. Heute steht außerdem eine Radtour auf dem Programm. Barbara hat auf Komoot eine Tour gefunden, die zu dem kleinen Museumsdorf „Stensjö By“ führt, in dem Teile der „Bullerbü-Geschichten „und „Kalle aus Lönneberga“ gefilmt wurden. Dahin sollte man doch auch aus Figeholm kommen, so die Idee. Google Maps schlägt zwei Routen vor – prima, dann kann man ja eine Rundtour daraus machen! Das liebt die Skipperin! Also starten wir über die nördliche Route und landen nach einigen Kilometern auf der E 22. Dort donnern Autos, Wohnwagengespanne und Wohnmobilschlachtschiffe mit 100 km/h entlang – Fahrradweg Fehlanzeige. Das ist keine Option, also suchen wir nach Waldwegen, die irgendwie parallel zur E 22 verlaufen. Alle enden als Sackgassen irgendwo im Wald. Bei einem denken wir, dass es mit einer kurzen Strecke durch das Unterholz vielleicht klappen könnte und enden auf einem Motor-Cross-Platz, der zum Glück heute gerade verwaist ist. Hier kommen wir nicht weiter, also zurück zu E 22. Neben dieser schieben wir dann die Räder ein paar Hundert Meter, bis zu einer Abfahrt, die uns über einen schönen Schotterweg durch den Wald zurück nach Figeholm bringt. Nach 2 Stunden „Workout“ sind wir wieder am Boot. Die Skipperin ist enttäuscht, lässt sich aber mit einer „Cockpit-Fika“ wieder besänftigen.

Anmerkung: von all den Dingen, die nicht so schön sind oder funktionieren, vergessen wir immer wieder Bilder zu machen – wahrscheinlich weil wir in dem Moment dann auch genervt sind.. … (Probleme beim Tanken, E22, Motor-Cross-Platz) – wir geloben Besserung!

Bei nachträglicher Überprüfung der verschiedenen Komoot-Fahrrad-Routen nach Stensjö By stellen wir fest, dass alle über die E 22 führen. Dies sogar mit dem Hinweis, dass eine Teilstrecke für Fahrradfahrer gesperrt ist. Die Skipperin ist erstmals von ihrer „Lieblingsapp“ enttäuscht.

Ein weiterer Grund für die heutige Übernachtung in Figeholm ist, dass mal wieder große Wäsche ansteht. Hier stehen zwei Waschmaschinen und zwei Trockner. Pro Boot sind zwei Wäschen inkludiert – und das bei 250 skr Hafengeld! Leider sind uns andere Segler zuvorgekommen und haben beide Maschinen belegt. Macht nichts – es ist Sonntag und Tatortzeit, da kann die Maschine nebenbei laufen.

Montag, 19.08.2024 – Figeholm  – SXK Steg Pataholm – 33 Seemeilen

Morgens werden wir davon wach, dass wir frieren! Die Tiefsttemperatur lag nachts bei 11 Grad. Werner versucht die Dieselheizung zu starten, aber sie will nicht. Zum Glück haben wir auch noch den Heizlüfter. Der erwärmt unsere kalten Füße. Mit dem heißen Kaffee in der Hand draußen in der Sonne sitzend ist die nächtliche Kälte schnell vergessen.

Heute verabschieden wir uns (erstmal) vom Navigieren im Schärengürtel: es geht ins freie Ostseewasser des Kalmarsundes. Den Figeholmer Schärengarten setzen wir auf die Liste für zukünftige Törns an der schwedischen Ostseeküste. Er ist zwar nicht sehr groß, aber sehr abwechslungsreich und bietet einige schöne Ankerbuchten. Wir nutzen heute den günstigen Nordwestwind, um etwas Strecke in Richtung Süden zu machen. Ab Dienstagmittag soll uns der Wind wieder auf die Nase wehen. Wir befinden uns seit gestern wieder im Kalmarsund, der in Richtung Kalmar immer schmaler wird. Hier herrschen oftmals andere Windverhältnisse, als „draußen“ auf der Ostsee. Meist ist hier weniger Wind. Durch den „Düseneffekt“ zwischen Festland und der Insel Öland aber manchmal auch mit etwas anderer Richtung und Stärke, als erwartet. Vielleicht haben wir ja Glück!

Die für heute anvisierte Mooringboje liegt auf gleicher Höhe wie Borgholm auf Öland. Erinnert ihr euch? Wir hatten von dem amerikanischen Autofestival dort im Juni berichtet und von Werners Muskelfaserriss (#3  Schlösser und Burgen…). Das scheint zum einen schon so lange her zu sein, aber irgendwie war es doch gerade erst. Zeit ist schon ein merkwürdiges Gut, manchmal sehr schnelllebig und dann wieder dehnbar. Wir sind unglaublich dankbar für die Zeit, die wir auf unserem Boot verbringen dürfen und für die vielen kleinen und großen Erlebnisse und Herausforderungen, die unseren Reiseweg mit Erinnerungen pflastern, von denen wir noch lange zehren werden! Und wir freuen uns jede Woche aufs Neue, diese Erlebnisse mit euch teilen zu können und eure Rückmeldungen zu lesen. Der direkte Kontakt zu Freunden und Familie ist das einzige, auf das wir während unserer Reisezeit verzichten müssen. Umso wertvoller sind die Kontakte über diesen Kanal!

Nun aber zurück zum heutigen Segeltag:  tatsächlich haben wir am Vormittag mehr Wind als vorhergesagt und können segeln, anfangs mit Wind von schräg hinten, später mit Halbwind. Zwischenzeitlich schläft der Wind immer wieder ein, um dann etwas nördlicher zurückzukommen. Wir setzen den Blister und erreichen so bei 7,5 Knoten Wind um die 5 Knoten Speed über Grund bei absolut „platter“ See. Das macht Spaß  und wir freuen uns über jede Meile, die der Motor Pause hat. Irgendwann ist dann aber auch mit Blister nichts mehr drin und der Motor muss doch wieder arbeiten. Wir bergen den Blister nach Stefans (Freund und Segelmacher) Empfehlung mit der „Briefschlitz-Methode“. Bei dem schwachen Wind wäre es auch anders zu bewerkstelligen gewesen, aber wir wollten das Manöver einmal ausprobieren. Dabei wird der Blister zwischen Großbaum und Unterliek des Großsegels (=Briefschlitz) mit Hilfe der unbenutzten Schot durchgezogen. Dadurch sinkt die Gefahr, dass der Blister beim Bergen ins Wasser gerät und der Druck im Segel ist auch mit kleiner Crew gut beherrschbar (Stefan fährt es auch einhand). In Summe kommen wir aber wieder nur auf 13 gesegelte Meilen, während 20 Seemeilen durch Motorkraft bewältigt wurden.

„Unsere“ Muringboje ist schon besetzt, aber es gibt auch einen Steg eines ehemaligen Sägewerkes und der ist leer. So machen wir längsseits fest. Das erleichtert auch das Ausladen der Fahrräder, denn nach der gestrigen missglückten Fahrradtour, wollen wir heute einen weiteren Versuch starten. Zwei Kilometer von unserem Steg entfernt, liegt der Ort Pataholm, der als sehr malerisch beschrieben wird. Das müssen wir uns ansehen. Und ja, es stimmt. Der Ort wirkt wie aus der Zeit gefallen und würde in jeder Astrid-Lindgren-Verfilmung als Kulisse bestehen!

Nach einem entspannten Rundgang schwingen wir uns wieder auf die Räder und radeln weiter in Richtung Norden nach Timmernabben, denn dort soll es die „beste Fischräucherei der ganzen schwedischen Ostseeküste“ geben (so verspricht es der Schwedenführer). Vielleicht finden wir etwas für das Abendessen? Der Weg führt uns an der Gutsanlage „Strömsrum“ vorbei. Eine beeindruckende Anlage mit einem zweistöckigen Gutshaus  aus Holz, das 1761 erbaut wurde. Im Internet finden wir weitere Informationen und erfahren, dass es sich ursprünglich um eine Anlage mit drei Gebäuden handelte, die wie ein Dreiseithof angeordnet waren. Der nördliche Flügel wurde 1922 ein Opfer der Flammen. Zum Gut führen von mehreren Seiten beeindruckende Eichenalleen, die mit Steinmauern flankiert sind. Die ganze Landschaft sieht wie ein einziger riesiger Landschaftspark aus. Mächtige Eichen, unzählige Wacholder-Säulen und Birken in allen Größen prägen die Landschaft. Dazwischen liegen malerisch drapiert graue Steine mit grünen Moos-Mützen.

Am Wendepunkt in Temmernabben stehen wir dann bei der Fischräucherei vor verschlossenen Türen – Nachsaison! Ein Bistro im Ort hat geöffnet und wir gönnen uns eine Bierpause auf der Terrasse, bevor wir uns an den Rückweg machen. Kurz vor unserem Liegeplatz sehen wir auf einer Wiese am Wasser eine große Gruppe Gänse und daneben zwei große Vögel. Das sind keine Graureiher, das ist ein Kranichpaar! Sie waten im seichten Wasser auf und ab, ein beeindruckendes Bild. Werner schafft es sogar, sie auf ein Foto zu bannen.

Nach dem Abendessen arbeitet Barbara noch etwas am Bericht und wartet den Aufgang des Mondes ab, um noch ein paar stimmungsvolle Fotos zu machen.

Dienstag, 20.08.2024 – Steg Pataholm – Kalmar – 18 28 Seemeilen

Die gestrigen Nachttemperaturen sind noch zu toppen… Heute Nacht wurde es einstellig – 9 Grad! Wir hatten erstmals den Niedergang fast vollständig geschlossen. Heute haben wir keinen Landstrom für den Heizlüfter, aber dafür springt nun die Dieselheizung an – so ein Glück! In null Komma nix ist es kuschelig warm in der Kajüte. Ein großer Vorteil unseres relativ kleinen Schiffes ist, dass es wenig Volumen hat, das erwärmt werden muss. Mit dem heißen Kaffee, einem Sitzkissen, einer Wolldecke und der Tageszeitung machen wir es uns später in der Sonne auf dem Vorschiff gemütlich.

Für heute ist im Kalmarsund seeehr wenig Wind vorhergesagt. Wir stellen uns auf Motorfahrt ein. Vorher wollen wir aber noch die Halbinsel erkunden, an der sich die Steganlage befindet, an der wir festgemacht haben. Auf Google Maps sieht es so aus, als würde ein Weg bis zum Ende führen. Also schwingen wir uns auf die Räder. Allerdings ist nach 200 Metern für die Räder Schluss. Wir stehen vor einem Zaun, über den eine Treppe führt. Auch gut, dann wandern wir eben. Außer fernes Verkehrsrauschen auf der E22 und hin und wieder Signaltönen der Eisenbahn, gibt es keine „Zivilisationsgeräusche“.

Andere Menschen treffen wir auch nicht, nur Vogelstimmen, insbesondere der Graureiher und Möwen sind zu hören. Gut 3 Kilometer wandern wir auf einem zweispurigen Pfad im Zick-Zack bis an die Spitze der Halbinsel „Saltor“. Eigentlich sind es mehrere Inseln, die mit Brücken und Dämmen verbunden sind. Wir haben wieder den Eindruck durch einen natürlichen Landschaftspark zu wandern. Mal stehen Säulenwacholder, Birken, Rosen, Eichen und Ebereschen umgeben von kurzem Gras und grauen, mit Moos oder Flechten bewachsenen Steinen im lockeren Verbund beieinander. Dann folgt ein waldiger Abschnitt mit riesigen Kiefern, bemerkenswerten Ameisenhaufen und uralten Eichen. Die Ufer sind gesäumt von Schilf und überall sehen wir Graureiher. Ihre Köpfe recken sich aus dem Schilf. Sie stehen still auf Steinen und verschmelzen nahezu mit dem Hintergrund oder sie fliegen auf und schreien dabei ihren Ärger darüber heraus, dass wir sie gestört haben (so interpretieren wir das zumindest). Eines ist sicher: sie sind sehr scheu!

An der Spitze der Halbinsel finden wir dann recht flachen Bewuchs in Form von Schlehenbüschen, Rosen, Wacholderbüschen. Hier steht eine Picknickbank mit Ausblick auf den Kalmarsund und ein Stückchen weiter stoßen wir dann auf die Rinderherde, deren Hinterlassenschaften wir auf dem ganzen Weg ausgewichen sind. Nach gut zwei Stunden sind wir wieder zurück am Boot und beide total begeistert von diesem Morgenspaziergang.

Unterdessen hat der Wind etwas aufgefrischt. Wir verstauen die Räder und legen ab. Die ersten 2 Meilen müssen wir unter Maschine aus dem schmalen Fahrwasser gegen den Wind hinaus motoren, bis wir im freien Wasser des Kalmarsundes die Segel setzen können. Anfangs weht es mit 5-7 Knoten aus Süd – wir müssen kreuzen. Ohne Welle klappt das auch bei diesem Wind recht gut. Im Laufe des Tages nimmt der Wind weiter zu und wir kreuzen und kreuzen und kreuzen. So werden aus den ursprünglich geplanten 18 Seemeilen letztlich 28. Am Ende hätten wir „eigentlich“ noch reffen müssen – wir waren auf den letzten Kreuzschlägen „übertakelt“. Aber die Bequemlichkeit siegte. Erst kurz vor der Kalmarsundbrücke und dem Fahrwasser nach Kalmar bergen wir die Segel und laufen unter Maschine. Nach 6 Stunden machen wir in Kalmar fest und sind beide höchst zufrieden mit diesem Segeltag – wir hatten Glück mit den niedrigen Wellen und dem frischen Wind!

Nach Hanko (Finnland) ist Kalmar der zweite Hafen, den wir auf dieser Reise zum zweiten Mal anlaufen. Das soll es dann damit aber auch gewesen sein. Wir wollen der schwedischen Küste weiter folgen. Bornholm hatten wir im Mai schon recht ausgiebig besucht.

Mittwoch, 21.08.2024 – Kalmar – Kristianopel – 29 Seemeilen

Das Wetter ändert sich. Heute soll ein kräftiges Regenband über uns hinwegziehen. Die Windvorhersage ist schwammig: Wind aus Südost mit Stärken von 9-22 Knoten am Vormittag. Ab Mittag ergiebige Regenfälle mit abnehmendem auf Süd drehendem Wind. Wir wollen versuchen, möglichst viel Strecke vor dem Regen zu schaffen, und starten um 7:30 Uhr mit einem Tankstopp, um auch für die Schwachwindphase gut gewappnet zu sein. Wenn es zu heftig wird, können wir auch zwischenzeitlich abbrechen oder pausieren. Es gibt sowohl auf dem Festland, als auch auf Öland einige Häfen, die dafür in Frage kämen. Auf jeden Fall sieht es im weiteren Verlauf danach aus, dass wir zwei Tage einwehen werden, denn es sind für Donnerstag und Freitag Windgeschwindigkeiten von 20 und Böen bis 33 Knoten vorausgesagt. Das wollen wir weder uns noch Jento zumuten (obwohl es für Letztere kein Problem ist).

Tatsächlich weht der Wind anfangs recht moderat aus Südost. Wir haben zur Sicherheit ein Reff im Groß. Leider steht eine unangenehm steile Welle im Kalmarsund und Jento stampft sich regelmäßig fest – wir reffen aus. Nach gut 3 Stunden erreicht uns dann das Regenband und gleichzeitig schläft der Wind ein, während die Welle erstmal unverändert bremst. Wir rollen die Genua ein und laufen unter Motor die zweite Hälfte der Strecke bis nach Kristianopel. Dort bauen wir schnell die Kuchenbude auf, bevor der nächste Regenschauer uns erreicht. Hier im Hafen liegen schon einige deutsche Schiffe – alle sind auf dem Heimweg. Nachdem wir im Hohen Norden Schwedens, auf den Ålands und in Finnland kaum deutsche Schiffe trafen, fühlen wir uns jetzt wie in einer Flottille. Viele Schiffsnamen haben wir zumindest auf dem Plotter (AIS Automatic Identification System) schon gelesen.

Den durchziehenden Schauer nutzen wir für eine Wohneinheit und zur weiteren Törnplanung. Barbara orientiert sich über die kommenden Mooringbojen des schwedischen Kreuzervereins und entwirft mögliche Tagesetappen. Als die Sonne sich nochmal zeigt, brechen wir zu einem Rundgang um Kristianopel und zu einer Fika-Einkehr im Hafen-Café auf. Das Kuchenangebot ist großartig, die Entscheidung ist nicht einfach und fällt schließlich auf zwei Cheesecake-Varianten. Einmal mit Salty Caramel und einmal mit Schokoladenstückchen. Beide sind vorzüglich und vor allem nicht sehr süß.

Kristianopel war die einzige Renaissance-Festungsanlage in Schweden. Angelegt wurde sie von den Dänen im 17. Jahrhundert nach italienischem Vorbild. Damals sicherte sie die dänischen Gebiete auf heutigem schwedischem Territorium. In mehreren Gebietskämpfen fiel sie mal an die Schweden, um dann wenig später wieder von den Dänen erobert zu werden. Die Festungsanlage liegt auf einer Halbinsel und noch heute ist ein Großteil der Festungsmauer vorhanden. Allerdings war diese damals ca. 6 Meter hoch, heute misst sie nur noch 2-3 Meter. Fast überall kann man auf ihr entlangwandern – ohne Absturzsicherung. Wie überall in Schweden setzt man auf die Eigenverantwortung der Menschen. Innerhalb der Festungsmauern befand sich eine Stadt, die allerdings nach der letzten Eroberung durch die Schweden zerstört wurde.

Nur noch die Kirche ist stehen geblieben, da sie als Gotteshaus für die umliegenden Gemeinden diente und zudem ein hervorragendes Seezeichen darstellte. Die Hälfte der Mauer wurde abgetragen und die Steine zum Bau der Garnisonsstadt Karlskrona verwendet. Innerhalb der Festungsmauern findet man heute einen Wohnmobil- und Campingplatz, einige neuere und zwei Straßenzüge mit älteren typisch schwedischen Holzhäusern, alle umgeben von hübschen Gärten, die sich teilweise direkt an die Festungsmauer schmiegen. Neben dem bereits erwähnten Café findet man einen kleinen Kaufmann und ein paar kleine (Andenken-) Lädchen. In der Kirche findet sich ein besonderer Service: Auf Knopfdruck kann sich der interessierte Besucher einen 8-minütigen Tonbandvortrag über die Geschichte von Stadt und Kirche in schwedischer, englischer oder deutscher Sprache anhören – prima!

Nach dem Abendessen bekommen wir Besuch von den Brüdern Thomas und Paul, die mit Pauls Halberg Rassy Monsun 31 unterwegs sind und die wir nun schon zum 4. Mal treffen. Bei Wein und Snacks verbringen wir einen fröhlich entspannten Abend mit Seglergarn. Paul schwärmt uns von seinem Törn bis zur nördlichsten Tonne der Ostsee vor – wir müssen wohl irgendwann einen weiteren Versuch unternehmen, dorthin zu gelangen!

Donnerstag, 22.08.24 – Kristianopel – Karlskrona – 27 Seemeilen

Ja, jetzt stutzen die aufmerksam Lesenden. Es geht schon weiter? War nicht von „Einwehen“ die Rede? Stimmt, aber der angekündigte Wind verspätet sich und so nutzen wir den heutigen Tag, den Kalmarsund hinter uns zu bringen, um dann nach Westen in den Schärenkarten von Bleckinge „abzubiegen“. Morgens scheint sogar noch die Sonne, bis die Wolken aus Süden aufziehen. Leider steht noch immer eine unangenehme Welle und Jento stampft sich regelmäßig fest. Außerdem zwingt uns drehender Wind immer weiter vom eigentlichen Kurs, so dass wir nach 2 Stunden entnervt die Maschine anwerfen. Kaum sind wir in den Schärengarten nach Westen eingebogen, verschwindet die Welle und es lässt sich wunderbar segeln, auch wenn das Fahrwasser eng ist und einige Aufmerksamkeit verlangt.

Nach gut sechs Stunden erreichen wir Karlskrona bei einsetzendem Nieselregen und bauen schnell die Kuchenbude auf und machen es uns gemütlich. Es strömt in den Hafen, sehr viele deutsche Schiffe, ein paar Holländer und auch eine englische Segelyacht liegen hier. Barbara nimmt nach einigen Stunden die Leinen der Grey an und erfährt vom Skipper Hugo von einer ihr unbekannten „Tradition“. Hugo erklärt, er habe als Segelanfänger vor vielen Jahren gelernt, dass der Skipper beim Anlegen behilflichen Personen einen Drink spendiert. Und so kommt die Crew der Grey mit finnischem Lakritzschnaps samt Schnapsgläsern zu einem Schnack in die kuschelige Kuchenbude der Jento, die dank der auf dem Herd kochenden Kartoffeln leicht angewärmt ist und die durchgefrorene Sandra etwas auftauen lässt. Uns gefällt diese „Tradition“ hervorragend, kommt man doch schnell in Kontakt mit anderen Seglern und Seglerinnen. Wir beschließen direkt, sie zu übernehmen und fortzuführen!

Freitag, 23.08.2024 – Karlskrona Hafentag – 0 Seemeilen

Es bleiben nahezu alle Boote im Hafen, wir auch. Tatsächlich entwickelt sich der angesagte Starkwind, dann aber erst in den Abendstunden.

Bei unserer Erkundungstour durch die Stadt bleibt es ruhig. Es ist Nachsaison, aber offensichtlich gibt es in der Generation 60+ genügend reiselustige Menschen, denn wir sehen mehrere Reisegruppen, die durch die Stadt mit den Hafen- und Befestigungsanlagen geführt werden. Der Marinehafen von Karlskrona ist eine von mehreren UNESCO-Welterbestätten in Südschweden. Dieser Seehafen aus dem Jahr 1680 ist ein außergewöhnlich gut erhaltenes Beispiel einer europäischen Marinestadt. Die Werft hat noch ihre Gebäude und Docks, die speziell für den Bau von Segelkriegsschiffen ausgelegt sind. Das von der UNESCO gelistete Gebiet umfasst außerdem Befestigungsanlagen, die Altstadt von Karlskrona und Anlagen im umliegenden Viertel – so beschreibt es „Visitschweden“ auf der Homepage.

Wir haben somit 4 der 15 schwedischen UNESCO Welterbestätten auf unserer Reise gesehen, wobei uns dieses ehrlicherweise am wenigsten anspricht. Es gibt einige hübsche Ecken in der Stadt, aber als Gesamtensemble finden wir es nicht herausragend. Den Marinehafen und die Werft kann man nicht allein besuchen und wir sind einfach keine Menschen, die gern in großer Gruppe mit Headset herumlaufen und sich berieseln lassen. Wir entdecken lieber selbst und erlesen uns dann das, was uns interessiert. So bleibt es bei einem Stadtrundgang ohne Marinehafen und Werft, aber mit leckerem Frühstück in einem liebevoll von einer englischen Inhaberin geführten Café.

Samstag, 24.08.2024 – Karlskrona – Tjärö – Hanö 21  31 Seemeilen

Nachts hat es tatsächlich über ca. 3 Stunden kräftig geweht und die Böen gingen sicherlich bis 25 Knoten hoch. Aber insgesamt lagen die Windgeschwindigkeiten deutlich unter der Vorhersage und auch die Dauer passte gar nicht. Die heutige Windvorhersage verspricht uns 10-12 Knoten aus Südwest, später auf West drehend. Das sollte für unser Ziel „Tjärö“ eigentlich einige Segelstunden bedeuten. Allerdings ist der Wind im Schärengürtel zum einen deutlich schwächer und zum anderen haben wir hier wenig Platz zum Kreuzen und die notwendige Höhe können wir beim herrschenden Wind nicht segeln. Also entscheiden wir uns, auf die Ostsee zu gehen, um dann dort stressfrei segeln zu können. Der Wind (und vor allem die alte Welle) steht uns direkt entgegen. Wir motoren bis zur Ausfahrt aus dem Schärengürtel und Jento stampft sich regelmäßig fest. Als wir dann endlich abfallen können, ist der Wind bei 3,5 Knoten, also für uns deutlich zu wenig. Mit seitlicher Welle stampft sich Jento zwar nicht mehr fest, dafür rollt sie ordentlich. Beim Brote Schmieren unter Deck wird die Skipperin ordentlich durch den Salon geschubst. Wir ärgern uns nun, dass wir nicht im Schärengürtel geblieben sind – da wäre jetzt zumindest keine Welle…

Ein Blick in die Windvorhersage lässt uns dann das Tagesziel ändern. Wenn wir heute nach Tjärö laufen würden (eine Insel, die uns von mehreren Menschen empfohlen wurde), dann müssten wir morgen wieder genau gegen an. Daher laufen wir nun heute nach Hanö, einer malerischen kleinen Insel, die dieser Bucht den Namen gegeben hat. Von dort haben wir morgen mehrere hoffentlich segelbare Optionen. Uns fällt es hier schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen, weil die Windvorhersagen seit Tagen nicht stimmen, weder bezüglich der Windrichtung noch in der Stärke. So ist eine entspannte Törnplanung wirklich schwierig.

Nach zwei Stunden hat der Wind südlicher gedreht, allerdings reicht uns die Stärke noch immer nicht zum Segeln – wir sind genervt und frustriert und holen die Schokokekse raus. Zucker hilft fast immer, zumindest kurzfristig…

Für Hanö schlägt die geliebte Komoot-App einige Wanderungen vor. Wir wählen die küstennahe Strecke in Richtung Norden bis zum Geröllhaken „Bönsäcken“. Zurück geht es dann durch das Landesinnere und vorbei am Leuchtturm und kommen so auf ca. 3,5 Kilometer. Die Insel ist ein Naturjuwel und bietet auf ihren 2,14 Quadratkilometern Fläche von glatt geschliffenen Felsen und Steppen über verwunschene Wälder bis zu Heidelandschaft und Strand alles, was man sich nur wünscht.

Die Hälfte der Insel ist bewaldet, zu einem großen Teil mit Hainbuchen. Die gesamte Insel ist Natura-2000 Gebiet und befindet sich in Privatbesitz. Es gibt eine freilebende Herde von Damhirschen, die auf der Steppe das Gras kurz halten und für das einzigartige Erscheinungsbild der Steppe sorgen. Vor ihnen ist nichts sicher: auch Brombeeren und Schlehen werden raspelkurz gehalten. Einige Bäume erhalten so die Form von Eieruhren.

Bemerkenswert sind die Windstärken auf Hanö, am 3. Dezember 1999 wurden 43 m/s gemessen, schwedischer Rekord außerhalb der Fjällgebiete. 230 Blumenarten soll es auf der Insel geben, davon blühen zurzeit natürlich lange nicht alle oder sogar sehr wenige… Von der erhöhten Mitte der Insel, auf der der Leuchtturm steht, hat man einen guten Rundumblick auf die Insel und über die Hanöbucht. Der heutige Leuchtturm wurde 1904-1906 errichtet und 1990 automatisiert. Er ist 16 Meter hoch und soll mit 23 Seemeilen die größte Tragweite in der Ostsee haben.

Natürlich besuchen wir auch den englischen Friedhof auf der Insel, der daher rührt, dass die Insel von 1810 bis 1812 englischer Flottenstützpunkt war. Auch das Museum am Hafen zu diesem Thema schauen wir uns an und lernen mal wieder für uns Neues.

Über die Insel führt zudem ein geologischer Lehrpfad mit vielen Hinweisschildern aus denen wir entnehmen können, wie alt die Insel ist und wie das schmelzende Inlandseis sie geformt hat. Davon zeugen die glatt geschliffenen Felsen genauso, wie die Geröllmulden und die teilweise riesigen Endmoränensteine.

Nachdem wir von unserem Rundgang zurück sind, hat sich der Hafen gut gefüllt. Viele der uns bereits aus Kalmar, Kristianopel oder Karlskrona bekannten Bootsnamen finden wir jetzt auch hier im Hafen. Viele Deutsche und Dänen auf der Heimreise, aber auch recht viele Schweden auf Wochenendtörn. Wir haben das Glück, wieder die Leinen der Grey annehmen zu können – diesmal geht der Schnaps aber auf uns!

2 Antworten

  1. Toller Bericht wieder einmal????Ihr habt die nette Hafenmeisterin von Hanö nicht erwähnt, eine Perle der Ostsee! Sie sorgt für die Liegeplatzverteilung in der Saison und für vorbildlich gepflegte Sanitäranlagen

    1. Moin Stefan,
      Danke, wir haben schon von anderen von der netten Hafenmeisterin gehört, nur hatten wir mit ihr nur sehr kurz zu tun! Nach dem sie unser Nachbarboot mit dem Wortwechsel „10m 11m 12m ?“ abgefertigt hat, bekamen wir auch keinen anderen Wortwechsel zustande ????‍♂️ . Nach 5-10 Minuten auf dem Rückweg fragte sie uns dann – recht unfreundlich – ob wir schon bezahlt haben… hmm, vielleicht hatte sie nur einen schlechten Tag… auf jeden Fall hat sie es damit – in diesem Jahr – nicht in unseren Bericht geschafft ????☺️

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert